KANBrief 3/10

Interpretation der Europäischen Richtlinien

Obwohl sich die Europäischen Institutionen bemühen, Richtlinien vollständig und eindeutig zu formulieren, tauchen immer wieder Fragen auf, wenn es um die praktische Anwendung geht. Für die Interpretation der Richtlinientexte des New Approach gibt es Dienststellen der Europäischen Kommission und europäische Gremien, deren Aufgaben im Folgenden kurz skizziert werden.

Dienststellen der Kommission

Die in der Europäischen Kommission für bestimmte Sektoren zuständigen Referate haben die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die jeweiligen Richtlinien europaweit einheitlich angewandt werden. Zu diesem Zweck erstellen sie beispielsweise Interpretationsdokumente wie den neu veröffentlichten Leitfaden zur Maschinenrichtlinie. Konkrete Fragen können auch direkt über eigens auf den Webseiten der jeweiligen Dienststelle eingerichtete E-Mail- Briefkästen gestellt werden. Zur Beantwortung kann die Kommission je nach Bedarf die einschlägigen Ständigen Ausschüsse oder andere Gremien befassen, etwa die Koordinierungsgruppen der Benannten Stellen (Neutrale Prüfstellen, die von den Mitgliedstaaten gegenüber der EU benannt werden, um die Konformität von Produkten mit den einschlägigen europäischen Richtlinien zu überprüfen, sofern diese eine solchePrüfung vorsehen).

Einheitlich müssen nicht nur die Interpretationen der Rechtstexte sein, sondern auch die Antworten auf Fragen zur Prüfung und Zertifizierung. Daher nehmen Mitarbeiter der Kommission an Sitzungen der Koordinierungsgruppen Benannter Stellen teil und fördern deren Zusammenarbeit. Nicht zuletzt sind Referenten der Kommission wichtige Ansprechpartner für die Normungsorganisationen. Auf Anfrage tragen sie auch auf Veranstaltungen vor, die sich mit ihrem Sachgebiet befassen.

Ständige Ausschüsse

Die Kommission führt den Vorsitz und die Sekretariate der Ständigen Ausschüsse. Diese sind nur von den Mitgliedstaaten zu besetzen und müssen nach formal strengen Regeln einberufen und geführt werden. Gleichwohl haben die Ständigen Ausschüsse der für die CE-Kennzeichnung relevanten Richtlinien in den meisten Fällen nur beratende Funktion. Allerdings hat die Meinung bestimmter Ausschüsse (zum Beispiel zu Medizin- oder Bauprodukten) für die Entscheidungen der Kommission ein formal größeres Gewicht, das heißt, die Kommission kann schwerlich Entscheidungen gegen eine Ausschussmeinung treffen. In der Regel spielt das aber keine wesentliche Rolle, da die Kommissionsdienststellen ohnehin einen Konsens mit den Ausschüssen suchen. Interessanterweise gibt es nicht zu jeder Richtlinie einen Ausschuss. So sieht etwa die PSA-Richtlinie 89/686/EWG nichts dergleichen vor, weswegen als pragmatische Lösung eine „PSA-Arbeitsgruppe“ formal unter dem Maschinenausschuss eingerichtet worden ist.

Arbeitsgruppen

Die eigentliche Arbeit der Ständigen Ausschüsse wird zumeist von weniger formalen Arbeitsgruppen (Working Groups) geleistet, an denen zum Beispiel auch Vertreter der Normungsorganisationen, Benannter Stellen oder Industrieverbände teilnehmen können. Beispielsweise werden die weitaus meisten Diskussionen zur Maschinenrichtlinie nicht im formalen Maschinenausschuss, sondern in seiner Arbeitsgruppe geführt.

Während die Dokumente der Ständigen Ausschüsse in der Regel vertraulich behandelt werden müssen, ist es bei einigen Arbeitsgruppen möglich, sich auch als Interessierter auf die „offene“ Verteilerliste setzen zu lassen. Diese Möglichkeit, über aktuelle Diskussionen informiert zu werden, wird allerdings in der Kommission von Sektor zu Sektor unterschiedlich gehandhabt und unterliegt der Entscheidung der jeweils zuständigen Dienststelle.

Besondere Ausschüsse

Die Meinung des Ausschusses 98/34/EG „Normen und technische Vorschriften“ müssen die Kommissionsdienststellen insbesondere beim Abfassen von Normungsaufträgen (Mandaten) einholen. Eine der wesentlichen Aufgaben des Ausschusses ist es, zu formellen Einwänden der Mitgliedstaaten gegen harmonisierte Normen Stellung zu nehmen. Diese Stellungnahmen bilden die Grundlage für die Entscheidungen der Kommission sowie für entsprechende Änderungsmandate an die Normungsorganisationen.

Erwähnenswert ist auch der Ausschuss zur Richtlinie über die allgemeine Produktsicherheit 2001/95/EG, der im Unterschied zu den vorgenannten Ausschüssen auch rechtlich bindende Regelungen erlassen darf (zum Beispiel Verbote, Rücknahmen, Rückrufe gefährlicher Produkte). Da die Richtlinie 2001/95/EG keine detaillierten grundlegenden Anforderungen enthält, legt dieser Ausschuss auch Sicherheitsanforderungen an Verbraucherprodukte fest, auf deren Grundlage Normungsaufträge formuliert werden.

Corrado Mattiuzzo
mattiuzzo@kan.de

Nach oben