KANBrief 3/10

Evolution statt Revolution

Die Europäische Kommission und der Rat möchten das europäische Normungssystem reformieren (Mitteilung KOM(2008) 133 vom 11. März 2008; Schlussfolgerungen des Rates vom 25. September 2008). Es soll künftig besser auf Innovationen reagieren und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen unterstützen. Dazu sollen die Normungsorganisationen ihre Geschäftsmodelle überarbeiten und das System besser an die Bedürfnisse der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) anpassen.

Die Normungssachverständigengruppe EXPRESS hat im Jahr 2009 im Auftrag der Europäischen Kommission eine Reihe von Empfehlungen ausgesprochen, auf deren Grundlage die Überarbeitung des europäischen Normungssystems eingeleitet werden sollte. In einer öffentlichen Konsultation hat die Europäische Kommission daraufhin im Frühjahr 2010 einige Optionen zur Diskussion gestellt. Diese gehen jedoch erheblich über die Vorschläge der EXPRESS-Gruppe hinaus, was unter anderem zu scharfer Kritik seitens des DIN geführt hat (DIN-Mitteilungen, März 2010, Artikel Dr. Bahke „Europäisches Normungssystem bedroht“ (pdf).

Aus Sicht der in der KAN vertretenen Kreise sollte das bestehende System zwar optimiert, nicht aber durch den Aufbau neuer Strukturen in Frage gestellt werden. Die KAN setzt sich daher unter anderem für folgende Punkte ein:

• Rechtsakte und öffentliche Maßnahmen, die die Sicherheit von Produkten oder die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz betreffen, sollten keine Dokumente in Bezug nehmen, die von Foren oder Konsortien entwickelt wurden. Konsortialpapiere (auch solche, die im Rahmen der Europäischen Normungsorganisationen erarbeitet wurden) sind für diesen Zweck ungeeignet, da die Mitwirkungsmöglichkeiten eingeschränkt sind und sie nicht auf vollständigem Konsens beruhen.

Die Finanzierung der Normung sollte nicht an Bedingungen wie den raschen Abschluss der Arbeiten geknüpft werden. Eine solche Maßnahme würde den mit der Finanzierung verbundenen bürokratischen Aufwand unangemessen erhöhen. In den ohnehin schon unter sehr hohem Druck stehenden Normenausschüssen stiege der Zeitdruck noch weiter an. Es ist zu befürchten, dass dadurch vermehrt unausgereifte Ergebnisse in Normen festgeschrieben werden. Schnelle Prozesse sind zwar wünschenswert, dürfen aber nicht zu Lasten des Konsenses und der Qualität gehen, da dies sicherheitstechnisch bedenkliche Folgen haben könnte.

• Es sollte nicht der Eindruck erweckt werden, dass nationale und europäische Normung einen Gegensatz darstellen, denn sie ergänzen sich in hervorragender Weise. Die nationale Normungsarbeit und das nationale Delegationsprinzip stellen sicher, dass sich breite Kreise in ihrer Muttersprache am Normungsprozess beteiligen können. Dies wäre ansonsten nur schwerlich möglich.

• Zusätzliche Einrichtungen neben den anerkannten Normungsorganisationen CEN, CENELEC und ETSI würden es erschweren, das nationale Delegationsprinzip umzusetzen. Außerdem wäre die Widerspruchsfreiheit des europäischen Normungssystems gefährdet, wenn es auch in Europa zu amerikanischen Verhältnissen käme und es eine Vielzahl von Normungsorganisationen gäbe, die nicht effektiv koordiniert werden können. Für die Entwicklung von Normen zur Unterstützung von Rechtsvorschriften der EU sind daher Ausschreibungen der Europäischen Kommission, die auch anderen Organisationen offenstünden, nicht hilfreich. Sie wären auch unweigerlich mit einem großen bürokratischen Aufwand verbunden.

• Für Fälle, in denen die Normungsorganisationen ein Mandat abgelehnt haben oder trotz eines Mandats kein Ergebnis vorlegen, sollte die Europäische Kommission ein Verfahren für Ausnahmefälle entwickeln. Das Verfahren sollte in jedem einzelnen Fall legitimiert werden, zum Beispiel durch den Ausschuss nach Richtlinie 98/34/EG oder nach einer speziellen Richtlinie.

Eine zentrale Frage der Konsultation war, wie die interessierten Kreise effektiv am Normungsprozess beteiligt werden können. Die Bundesregierung und das DIN nannten in ihren Stellungnahmen das Modell der KAN als gutes Beispiel dafür, dass dies möglich ist, ohne die Grundprinzipien der Normung in Frage zu stellen.

Nach der Sichtung der zahlreichen Stellungnahmen auf die öffentliche Konsultation und einer Folgenabschätzung wird die Kommission dem Rat und dem Parlament voraussichtlich im Herbst 2010 einen Vorschlag für das neue „Normungspaket“ vorlegen.

Corrado Mattiuzzo
mattiuzzo@kan.de