KANBrief 1/25
Stefan Pemp war viele Jahre als Abteilungs- und Behördenleiter in staatlichen Gewerbeaufsichtsämtern und von 2001 bis Mai 2024 als Referatsleiter für die Marktüberwachung technischer Produkte im niedersächsischen Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung tätig. Aus seinen Erfahrungen mit der europäischen Marktüberwachung gibt er aus der „Froschperspektive“ Anregungen, wie diese fortentwickelt werden könnte.
Die Europäische Union ist wichtig für die Mitgliedstaaten, um über eine „Stimme in der Welt“ zu verfügen. Kennzahlen wie die Fläche, Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft zeigen, dass die einzelnen Staaten international zu wenig Gewicht in die Waagschale werfen. Entscheidend ist aber nicht nur, dass es die EU gibt, sondern dass sie wirtschaftliche, politische und rechtliche Rahmenbedingungen schafft, die für die Mitgliedstaaten auch tatsächlich praktikabel sind.
Auftrag und Ziel der europäischen Marktüberwachung ist es, den europaweiten freien Warenverkehr in einem fairen Markt zu ermöglichen. Die praktische Umsetzung der Marktüberwachung ist den Behörden der Mitgliedsstaaten übertragen (Siehe EU-Marküberwachungsverordnung 2019/1020). Den Rechtsrahmen hierfür bildeten ursprünglich EU-Richtlinien, die in das nationale Recht der Mitgliedsstaaten zu überführen waren. Zunehmend werden jedoch EU-Verordnungen erlassen, die unmittelbar in allen Mitgliedstaaten gelten, zur Durchführung aber noch der flankierenden nationalen Rechtsetzung bedürfen.
Mit dem Wechsel der Rechtsetzung von Richtlinien zu Verordnungen ist der Wunsch nach größerer Einheitlichkeit und Klarheit verbunden. In diesem Zusammenhang wird zuweilen auch die Idee einer zentralen Europäischen Marküberwachung in den Raum gestellt. Deren Vorteile lägen beispielsweise in einer besseren Ressourcenverteilung, insbesondere in hochtechnologischen Gebieten wie Künstlicher Intelligenz, in denen Fachleute nur schwer zu rekrutieren sind, in der Vermeidung von Doppelarbeit und in einer besseren Koordination auf nationaler und europäischer Ebene.
In der Realität trifft das europäische Recht zumindest in Deutschland, aber wohl auch in anderen EU-Staaten1, auf eine gewachsene (Verwaltungs-) Rechtskultur, die von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat sehr unterschiedlich ausfallen kann. Werden in EU-Verordnungen Begriffe wie „fordern sie den einschlägigen Wirtschaftsakteur unverzüglich auf“ verwendet, finden diese mitunter keine unmittelbare Entsprechung im deutschen Verwaltungsrecht und führen zu Unsicherheiten bei den Marküberwachungsbehörden. Was etwa ist mit „auffordern“ gemeint – ein schlichter Hinweis oder ein Verwaltungsakt?
Dahinter steckt meines Erachtens das Problem, dass auch eine noch so gute Übersetzung nicht zu einer passgenauen Anwendung im nationalen Rechtssystem führt. Dies konnte früher in den meisten Fällen geleistet werden, indem die Umsetzung von EU-Richtlinien in nationales Recht auf die nationalen Gegebenheiten abgestimmt wurde.
Betrafen Mängel rein formale Verpflichtungen ohne materiellen Hintergrund (z.B. lediglich fehlende Anbringung des CE-Zeichens), wurden diese in der deutschen Verwaltungstradition in der Regel als „Petitesse“ gesehen. Auch hier zeigt sich ein Problem der unterschiedlichen Rechtspraxis, da die nationalen Verwaltungen innerhalb ihres Ermessenspielraums möglicherweise unterschiedlich strikte Maßnahmen ergreifen.
Stimmt die These der sehr uneinheitlichen Verwaltungsrechtstraditionen in Europa, birgt eine (zentrale) europäische Marküberwachung neben den Chancen der Einheitlichkeit und Effektivität ein hohes Risiko fehlender Akzeptanz, da die nationalen Akteure von ihrer jeweiligen Verwaltungspraxis geprägt sind. Große Unternehmen dürften in der Lage sein, rechtliche Verständnisprobleme mit Hilfe ihres Stabes zu bewältigen, kleinere Unternehmen werden jedoch in solchen Fällen wohl eher resignieren. Sowohl die Rechtsetzung durch die EU als auch eine zentrale EU-Behörde könnten als fern und abgehoben empfunden und so auch Opfer demagogischer Kritik werden.
Vor diesem Hintergrund ist es aus meiner Sicht entscheidend, für Dreierlei zu werben:
Aus meiner praktischen Erkenntnis aus über 20-jähriger Tätigkeit im vorpolitischen Raum sind gerade die Punkte 2 und 3 wichtig. Lässt man sich bei Zielen blockieren, wird man der Aufgabe nicht gerecht. Will man aber alles sofort, verbrennt man das Thema.
Für die Marktüberwachung ist nicht nur eine gemeinsame Sprache notwendig. Allein die Kommunikation mit Behörden in anderen Mitgliedsstaaten gestaltet sich in der Praxis aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse schon schwierig. Vor allem braucht es aber ein gemeinsames Verständnis des Gewollten – und hier wird es wirklich schwierig. Dieses Verständnis muss, um akzeptiert zu werden, bei Behörden und Wirtschaftsakteuren entwickelt werden. Ich sehe hier einen zwar notwendigen, aber auch langen und steinigen Weg.
Um diesen Weg weiter erfolgreich gehen zu können, ist der EU zu wünschen, dass sie sich in der Marküberwachung wie auch insgesamt weiter ambitionierte Ziele setzt, die erforderlichen Ressourcen bereitstellt und sich die notwendige Zeit lässt.
Stefan Pemp
Ehemaliger Referatsleiter für die Marktüberwachung technischer Produkte, Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung
1 „Die Erstellung dieses Bandes hat einmal mehr gezeigt, dass die Verwaltungsrechtsordnungen der europäischen Staaten vor allem konzeptionell nach wie vor mitunter erheblich auseinander liegen…“, siehe Einleitung Ius Publicum Europaeum Band V Verwaltungsrecht in Europa: Grundzüge, Hrsg. A. von Bogdandy, S. Cassese, P.M. Huber, 2013