KANBrief 1/25

Normen für alle: geschlechtergerecht und inklusiv

Europäische und internationale Normen und Standards prägen viele Lebensbereiche – darunter auch die Arbeitswelt. Eine geschlechtergerechte und inklusive Herangehensweise an Normung und Standardisierung ist nicht nur eine Frage der Gleichberechtigung, sondern ergibt sich auch aus der gesellschaftlichen Verantwortung und dem Anspruch, faire Rahmenbedingungen für alle Menschen zu schaffen.

Arbeitsmittel, Prüfmethoden, Prozesse oder Dienstleistungen werden für Menschen gestaltet. Viele in Normen festgelegte Anforderungen, vor allem für Maschinen oder persönliche Schutzausrüstungen, ergeben sich daher aus den Eigenschaften der Anwendenden. Die fehlende Anpassung von Arbeitsmitteln oder Schutzausrüstung an unterschiedliche Körperformen und weitere Kriterien der Nutzerpopulation kann zu Unfällen, Gefährdungen sowie Fehlbelastungen führen. Die Eigenschaften von Menschen sind nicht universell, sondern fallen sehr unterschiedlich aus.

Geschlechtergerechte Normung

Traditionell sind viele technische Normen, in denen Personen adressiert werden, eher männlich geprägt. Dies spiegelt sich nicht nur in der Sprache wider, sondern auch in der Art und Weise, wie Produkte gestaltet sind und geprüft werden. Die Anatomie und körperlichen Voraussetzungen insbesondere von Frauen werden möglicherweise nicht ausreichend beachtet. Geschlechtergerechte Normung bedeutet, dass die Bedürfnisse aller Geschlechter berücksichtigt werden. Persönliche Schutzausrüstung bei der Feuerwehr beispielsweise kann ihre vorgesehene Schutzwirkung nur entfalten, wenn sie geschlechtsspezifischen Unterschieden Rechnung trägt und richtig passt. Ein gutes Beispiel ist die DIN 14927 für Feuerwehr-Haltegurte, in der auf Initiative der Hanseatischen Feuerwehr-Unfallkasse Nord und der KAN die bisherigen Größenklassen an beiden Enden der Skala um eine Klasse ergänzt wurden, sodass die Bandbreite an Körpermaßen in der Bevölkerung besser abgedeckt ist.

Inklusive Normung

Einen Schritt weiter geht die inklusive Normung: Sie soll die Vielfalt der Gesellschaft widerspiegeln und Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen sowie Menschen mit verschiedenen ethnischen, kulturellen und sozialen Hintergründen berücksichtigen. Ein wichtiger Schritt in Richtung Inklusion sind Normen für die barrierefreie Gestaltung, die dafür sorgen, dass der öffentliche Raum und Gebäude auch für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen zugänglich sind. Ebenso sollten Arbeitsmittel so gestaltet werden, dass sie möglichst den Bedürfnissen aller Beschäftigten gerecht werden. Selbst wenn nicht alle Produkte vollkommen inklusiv gestaltet werden können, darf dies nicht als Vorwand dienen, es gar nicht erst zu versuchen.

Erste Initiativen

Mehrere Normungsorganisationen haben bereits erste Schritte unternommen, z. B. Arbeitsgruppen eingerichtet, die sich mit Fragen der Inklusion und Gleichstellung befassen. Mit verschiedenen Initiativen sollen die Diversität und Inklusion in den Normungsgremien gefördert, geschlechtergerechte Sprache in Normen umgesetzt und Datenerhebungen, etwa zu Körpermaßen verschiedener Bevölkerungsgruppen, initiiert werden.

2023 hat die Europäische Kommission 2.650 harmonisierte europäische Normen auf die Inklusivität ihrer zugrundeliegenden Daten untersucht. Die Studie hat gezeigt, dass Körpermaße in 36 % der untersuchten Normen relevant sind. Bei 76 der untersuchten Normen (etwa 3 %) führt die fehlende Inklusivität sogar dazu, dass ein hohes Risiko für die Sicherheit und Gesundheit großer Bevölkerungsteile besteht. Aus Sicht der Kommission sind diese Normen daher dringend zu überarbeiten. Aber damit Normen die Körpermaße von Menschen ausreichend berücksichtigen können, müssen sie für die relevante europäische Bevölkerung in all ihrer Vielfalt auch bekannt sein. In einem Folgeprojekt lässt die Europäische Kommission daher derzeit ermitteln, welche anthropometrischen Daten von Erwachsenen verfügbar sind und welche noch fehlen.

CEN und CENELEC haben 2024 einen gemeinsamen technischen Ausschuss eingerichtet, der sich mit verschiedenen horizontalen Themen bei persönlicher Schutzausrüstung (PSA) auseinandersetzt. Auch hier spielen die Ergebnisse der Kommissions-Studie eine große Rolle. Eine Arbeitsgruppe zu inklusiver PSA hat sich zum Ziel gesetzt, einen übergreifenden Ansatz für die erforderlichen Überarbeitungen der betroffenen PSA-Normen zu entwickeln.

Geschlechtergerechtigkeit als Ziel für nachhaltige Entwicklung

Die Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen (UNECE) hat 2017 eine Empfehlung für gendergerechte Normen veröffentlicht, die sich auf das Ziel Nr. 5 „Geschlechtergerechtigkeit“ der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung beruft. Sie enthält eine Erklärung, die Normungsorganisationen unterzeichnen können, um ihr Engagement in diesem Bereich zum Ausdruck zu bringen. Im Anhang sind mögliche Aktionen aufgelistet, mit denen die erklärten Absichten erreicht werden können. DIN und DKE haben die Erklärung bereits unterzeichnet.

Auch CEN, CENELEC, ISO und IEC haben sich verpflichtet, dazu beizutragen, die UN-Nachhaltigkeitsziele zu erfüllen. Es gibt laut ISO-Website über 50 Normen, die das Nachhaltigkeitsziel Nr. 5 unterstützen, z.B. ISO 53800 „Leitfaden für die Förderung und Umsetzung der Geschlechtergleichstellung und das Empowerment von Frauen”. Bei CEN/CENELEC liefert die entsprechende Suche 281 Normen.

Normungsgremien sollten darauf achten, inklusive und nicht diskriminierende Sprache zu verwenden. Als Hilfestellung hat ISO dazu eine Liste veröffentlicht, in der Alternativen für Begriffe genannt werden, die nicht inklusiv sind oder als abwertend empfunden werden können.

Wichtig ist die kontinuierliche Schulung und Sensibilisierung der Fachleute in den Normungsgremien, damit sie sich der Notwendigkeit bewusst sind, Vielfalt in ihren Normen zu berücksichtigen. Eine Veränderung hin zu einer geschlechtergerechten und inklusiven Normung erfordert nicht nur strukturelle Anpassungen, sondern auch einen kulturellen Wandel in der Normungswelt.

Katharina von Rymon Lipinski
vonRymonLipinski@KAN.de

Ronja Heydecke
Heydecke@kan.de