KANBrief 2/14

Mandatierte Normen – wie läuft das eigentlich?

Harmonisierte Normen, die die Konformitätsvermutung (KANBrief 1/10 „Vorsicht: Vermutungswirkung!) auslösen, werden von den europäischen Normungsorganisationen auf der Grundlage eines Auftrags der Europäischen Kommission erstellt. Solche Aufträge, Normen oder normenähnliche Dokumente zu erarbeiten, werden auch als Mandate bezeichnet. Nach welchem Verfahren die Kommission diese Aufträge zu erteilen hat, ist ausführlich in der EU-Verordnung 1025/2012 (des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 zur europäischen Normung) geregelt.

Die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und dem europäischen Normungssystem basiert in erster Linie auf einem jährlichen, detaillierten Arbeitsprogramm, zu dem auch die geplanten Mandate gehören. Nur in dringenden Fällen kann die Kommission Mandate auch ohne vorherige Ankündigung erteilen.

Mandate als Druckmittel

Im Regelfall wird die auf Mandaten basierende Normungsarbeit von der Europäischen Kommission finanziell bezuschusst. Dadurch kann auch ein gewisser Druck auf die Normungsorganisationen ausgeübt werden, bestimmte vom Gesetzgeber erwünschte Ziele zu erreichen. Denn Mandate enthalten sowohl Anforderungen an den Inhalt von Normen als auch einen Termin, bis zu dem diese verabschiedet sein müssen. Ein ganz wesentliches normungspolitisches Ziel der EU besteht beispielsweise darin, die Erarbeitungszeit von Normen spürbar zu verringern. Eine weitere Vorgabe ist, dass künftig die interessierten Kreise ihre Meinung einfacher in die Normungsarbeit einbringen können sollen, allen voran die Marktüberwachungsbehörden der Mitgliedstaaten und die von der EU finanzierten europäischen Organisationen ANEC (Verbraucher), ECOS (Umwelt), ETUI (Arbeitnehmer) und SBS (kleine und mittlere Unternehmen).

Beteiligung und Transparenz

Mandate werden von der Kommission nicht im Alleingang bestimmt. Prinzipiell könnte jeder die Kommission auf ein bestimmtes Thema aufmerksam machen. Häufig kommt der Anstoß für neue Mandate zum Beispiel von den zur entsprechenden Richtlinie gehörigen Sektorausschüssen (z.B. dem Maschinenausschuss), der Marktüberwachung, über formelle Einwände, oder die Kommission greift politische Schwerpunkte wie aktuelle Umwelt- oder Verbraucherschutzthemen auf.

In der Entwurfsphase eines Mandats muss die Kommission nicht nur die europäischen Normungsorganisationen, sondern auch die oben erwähnten, von der EU finanzierten europäischen Interessenvertreter sowie – falls vorhanden – den zuständigen Sektorausschuss anhören. Schließlich müssen die Mitgliedstaaten die Entwürfe des Mandats und der dazugehörigen formellen Kommissionsentscheidung im Ausschuss 1025/2012 nach einem Prüfverfahren billigen. Dieses Prüfverfahren ist sehr aufwändig, da dabei auch das Parlament zu beteiligen und eine Übersetzung in alle Amtssprachen der EU anzufertigen ist. Daher soll die Kommission bis zum 2. Januar 2015 den Zeitbedarf für die Erteilung von Normungsaufträgen bewerten. Sie könnte daraufhin Parlament und Rat einen Vorschlag unterbreiten, die Verordnung in diesem Punkt zu ändern, um das Verfahren zu vereinfachen.

Interessant ist, dass die Kommission, falls es keinen Ausschuss mit Experten eines bestimmten Sektors gibt, eine öffentliche Konsultation durchführen muss, an der sich jeder beteiligen kann. Auf der Website der Kommission können sich Interessierte über einen RSS-Feed über aktuelle Nachrichten und Dokumente auf dem Laufenden halten und Kommentare an den jeweiligen Commission contact point senden. Sämtliche Mandate lassen sich in einer Datenbank recherchieren. Außerdem stehen diverse Grundlagendokumente zur Normungspolitik und Rolle der Normung sowie das Vademecum zur Europäischen Normung zum Download zur Verfügung.

Bewährung steht noch aus

Während die Transparenz des Verfahrens und die Möglichkeit der interessierten Kreise, sich einzubringen, ein vielversprechender Ansatz ist, könnte sich jedoch schon bald der erheblich wachsende Zeitdruck auf das Normungsverfahren rächen. Wie die KAN bereits in der Erarbeitungsphase zur Normungsverordnung zu bedenken gab (KANBrief 4/12 „Europäisches Normungssystem wird aufgefrischt“), stehen die Normungsgremien bereits jetzt unter sehr hohem Zeitdruck. Es ist zu befürchten, dass künftig vermehrt unausgereifte Ergebnisse in Normen festgeschrieben werden, was auch sicherheitstechnisch bedenkliche Folgen haben könnte. Aus Sicht der KAN muss sich das neue Verfahren daher erst noch bewähren und gegebenenfalls nachgebessert werden.

Corrado Mattiuzzo
mattiuzzo@kan.de