KANBrief 4/12

Europäisches Normungssystem wird aufgefrischt

Die Europäische Kommission hatte 2011 einen Entwurf für eine Verordnung vorgelegt, mit der das Normungssystem besser an die Herausforderungen unserer Zeit angepasst werden soll  siehe KANBrief 3/11 . Nach intensiven Verhandlungen und einigen Änderungen gegenüber dem ursprünglichen Vorschlag haben das Europäische Parlament im September und der Rat im Oktober 2012 dem ausgehandelten Kompromiss zugestimmt. Die Verordnung gilt ab dem 1. Januar 2013.

Beteiligung der interessierten Kreise

Die Verordnung (Verordnung (EU) Nr. 1025/2012 zur europäischen Normung, veröffentlicht im Amtsblatt der EU L 316/12 am  14.11.2012) stellt die wesentlichen Grundpfeiler und bewährten Strukturen der europäischen Normung nicht in Frage. Beispielsweise wird trotz der gestärkten Förderung der interessierten Kreise auf europäischer Ebene hervorgehoben, dass deren Beteiligung besonders auf nationaler Ebene weiter gefördert werden muss. Auch bekommen Organisationen wie NORMAPME, ANEC, ECOS oder ETUI, die in Europa die Interessen von KMU, Verbrauchern, Umwelt und Gewerkschaften vertreten, keine Stimmrechte auf europäischer Ebene. Das nationale Delegationsprinzip ist daher nicht gefährdet.

Die Beteiligung der Marktüberwachung an der Normungsarbeit wird nicht finanziell gefördert, sondern – wie bisher – nur gefordert. Gestärkt wird aber die behördliche Mitarbeit bei der Formulierung von Mandaten.

Noch schwer einzuschätzen sind die Auswirkungen, die sich daraus ergeben, dass auch das Joint Research Centre der Europäischen Kommission eine bedeutendere Rolle im Normungsgeschehen bekommen soll. Gerade aus dieser Generaldirektion kamen immer wieder Aufträge an die Normungsorganisationen, die die rechtlichen Rahmenbedingungen nicht berücksichtigten. Beispiele dafür sind etwa CEN Workshop Agreements (CWAs) für den Katastrophenschutz (Die betroffenen Produkte fallen zum Teil in den Anwendungsbereich der PSA-Richtlinie und zum Teil in  Bereiche, die nationaler Regelung unterliegen.) oder der Auftrag an einen CEN-Workshop, aktuelle Forschungsergebnisse zu neuartigen Risiken (Emerging Risks) direkt in Form von CWAs zu veröffentlichen. Für solche Themen sind normungsähnliche Dokumente aus Sicht der KAN jedoch nicht geeignet sind.

Normen und normungsähnliche Dokumente

Insgesamt bleibt der Vorrang von Normen vor Konsortialdokumenten (Dokumente, die von privaten Foren und Konsortien erarbeitet werden, und nicht den Status einer Norm haben) jedoch unangetastet. Die Definition von Normen ist um qualitative Eigenschaften ergänzt worden, die sie von anderen, normungsähnlichen Dokumenten abheben. Selbst im Bereich der Richtlinien für die öffentliche Auftragsvergabe zu Informations- und Kommunikationstechnologien werden internationale Konsortialdokumente nicht zu Normen „geadelt“, sondern nur für einen bestimmten Zweck „identifiziert“ und bleiben Spezifikationen. Auch müssen sie nun zusätzliche, durchaus anspruchsvolle Kriterien erfüllen, z.B. die Kohärenz mit dem Normenwerk. Die Symbiose zwischen Konsortien und europäischen Normungsorganisationen soll jedoch enger werden. Die sich bereits in der Vergangenheit anbahnende Rolle der Konsortialdokumente als fertig formulierte und daher im Schnellverfahren einreichbare Norm-Entwürfe dürfte damit eher bedeutender werden.

Qualität der Normen

Das Verfahren für formelle Einwände wird für fast alle Richtlinien des Neuen Konzepts vereinheitlicht. Neben den Mitgliedstaaten darf nun auch das EU-Parlament formelle Einwände vorbringen, während die Kommission dies nicht mehr kann. Neu ist auch, dass die Kommission auf ihren Webseiten (also nicht nur im Amtsblatt) auf alle Normen hinweisen muss, über die im Rahmen formeller Einwände entschieden wurde – mit welchem Ergebnis auch immer.

Künftig soll die Europäische Kommission zusammen mit den europäischen Normungsorganisationen bewerten, ob die harmonisierten Normen die Mandate erfüllen. Fraglich ist, wie das gehen soll. Welche Rolle dabei die Consultants übernehmen und ob dies überhaupt mit dem Grundgedanken des Neuen Konzepts, d.h. der klaren Trennung zwischen hoheitlicher Gesetzgebung und privater Normung, vereinbar ist, bleibt völlig offen. Unklar ist zudem, welche Verantwortung die Kommission dann für die für gut befundenen Normen übernimmt.

Bedenklich ist, dass die Finanzierung der Normung künftig an Bedingungen wie den rechtzeitigen Abschluss der Arbeiten geknüpft wird, denn Normenausschüsse stehen ohnehin schon unter sehr hohem Zeitdruck. Es ist zu befürchten, dass deswegen vermehrt unausgereifte Ergebnisse in Normen festgeschrieben werden, was auch sicherheitstechnisch bedenkliche Folgen haben könnte.

Corrado Mattiuzzo
mattiuzzo@kan.de