KANBrief 2/14

Technische Standards und TTIP: nur bei nichtharmonisierten Themen denkbar

Selten ist ein Thema so kontrovers diskutiert worden, wie die Verhandlungen zur Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft, kurz TTIP. Verständlich, schließlich geht es im Wesentlichen um den Abbau der Handelshemmnisse jenseits von Zöllen, also unter anderem um die Schaffung gemeinsamer Normen. Was das für den Arbeitsschutz bedeuten könnte, war ein Thema der KAN-Strategiekonferenz anlässlich ihres 20-jährigen Bestehens.

Stärkt das Freihandelsabkommen die Rolle von ISO? Mit dieser Frage, die vor und nach der Diskussion den Zuhörern in der Bonner Bundeskunsthalle zur elektronischen Abstimmung gestellt wurde, wollte man den meinungsbildenden Charakter der Konferenz festhalten. Und in der Tat: Vor der Diskussion glaubte die Mehrheit noch an eine Stärkung der internationalen Normung; danach verneinten dies 54 Prozent.

Den Vorsitzenden des Vorstandes von DIN, Dr. Torsten Bahke, hat das nicht überrascht. Schließlich seien die Normenwerke auf beiden Seiten des Atlantiks sehr unterschiedlich aufgestellt. Während man in Europa versucht, Normen möglichst widerspruchsfrei zueinander zu erarbeiten, existiert in den USA kein einheitliches Normenwerk. Doch warum ist das eigentlich so? Ein Blick in die Geschichte zeigt: Die privatwirtschaftlichen Normungssysteme haben sich ganz unterschiedlich entwickelt. In den USA existieren nahezu 600 Standardisierungsorganisationen. Die meisten sind beim US-amerikanischen ISO-Mitglied ANSI (American National Standardization Institute) akkreditiert. Bei ANSI werden allerdings keine Normen erarbeitet und die Organisation hat auch nicht die Möglichkeit, ISO-Normen unter Zurückziehung nationaler Normen zu implementieren.

In Europa darf der Einkäufer hinter der EG-Konformitätserklärung des Herstellers die Einhaltung der aufgeführten EU-Rechtsvorschriften vermuten; der amerikanische Kollege erhält eine Konformitätserklärung auf der Grundlage eines Zertifizierungsstandards. Das heißt: Während die CE-Kennzeichnung in Europa auf die Einhaltung allgemeiner Schutzziele von EU-„Gesetzen“ hinweist, besagt die US-Konformität: Das Produkt hält (irgend)eine Norm ein. Mehr nicht. Dies ist aber mit dem gesetzlichen Präventionsansatz des CE-Kennzeichens zur Produktsicherheit nicht vergleichbar. Dass die Produkte sicher sind, wollen aber beide. Und letztlich möchte man hüben wie drüben mit Blick auf den globalen Markt auch nur eine Norm: Der EU-Experte wirkt jedoch mit Blick auf das europäische und nationale Regelwerk in der ISO mit; die US-Amerikaner überlassen es hingegen dem Markt, welche Norm sich international durchsetzt.

Möglicher Ausweg: bilaterale Normen mit ISO-Qualität.

Aber, welche Lösung ist denn nun beim Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse denkbar? Da eine vollständige Harmonisierung aufgrund der unterschiedlichen Rechtsrahmen wohl Utopie bleibt, schlägt Bahke einen „dritten Weg“ vor: die Entwicklung neuer, gemeinsamer Spezifikationen in innovativen, bislang noch nicht harmonisierten Feldern. Dieser Prozess müsse jedoch durch Impulse aus der Industrie auf beiden Seiten des Atlantiks angestoßen werden. Günther Petrasch, der als Leiter Government Affairs bei Siemens (München) den wirtschaftlichen Impulsvortrag zum TTIP hielt, begrüßte diesen Vorschlag. Als Vertreter eines globalen Unternehmens, das nicht nur in den USA investiert und produziert, legte er Wert darauf, dass diese bilateralen Ergebnisse letztlich in einer internationalen Norm münden – möglichst auf ISO-IEC-Ebene.

Europäisches Schutzniveau darf nicht sinken

Diese bilateralen Gespräche dürften jedoch nicht zu Lasten des Arbeits- und Gesundheitsschutzes in Europa gehen, mahnte Rüdiger Reitz an, der für die gesetzliche Unfallversicherung auf dem Podium saß. Als Leiter des Referats „Produktsicherheit und DGUV Test“ bei der DGUV teilte er die Meinung des Publikums (65 Prozent), dass das Abkommen sich auf die Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit in Europa auswirken könne. Er wies auf das Positionspapier der DGUV (pdf) hin, in dem aus Sicht des Spitzenverbandes der gesetzlichen Unfallversicherung die nicht verhandelbaren Themen explizit ausgewiesen sind. „Das in Europa erreichte Schutzniveau in der Produktsicherheit und am Arbeitsplatz darf durch das Abkommen nicht geschwächt werden“, fasste Reitz seine Forderungen zusammen und stützt somit auch die Position der Kommission Arbeitsschutz und Normung zum TTIP (siehe hierzu Gemeinsame Erklärung zur Normungspolitik im Bereich des Arbeitsschutzes [pdf]).
 

Karl-Josef Thielen