KANBrief 1/12

Das Geschlossene Votum: ein ganz „besonderer Fall“

Im Jahre 1996 hat das DIN-Präsidium einen Beschluss zum Schutz maßgeblicher Interessengruppen in der Normungsarbeit auf nationaler Ebene gefasst und 2007 aktualisiert (DIN-Präsidialbeschlüsse 4/1996 und 1/2007). Danach konnte gegen das geschlossene Votum eines wesentlichen an der Normung interessierten Kreises keine Entscheidung getroffen werden, falls es im Normungsgremium doch einmal nicht zum Konsens, sondern zur Abstimmung kommt. Dieser wichtige Beschluss wurde nun noch einmal konkretisiert.

Die KAN hat in der Vergangenheit vom geschlossenen Votum gelegentlich Gebrauch gemacht, z.B. bei Norm-Entwürfen für Prüfverfahren für Zement (2002), Fahrzeugkrane (2003), Gartenhäcksler (2003), Gleislosfahrzeuge für den Bergbau (2006) oder die statische Sicherheit von Regalsystemen (2008). Durch das geschlossene Auftreten, zu dessen Vorbereitung im Vorfeld die betroffenen deutschen Arbeitsschutzkreise einbezogen wurden, konnte der Einfluss des Arbeitsschutzes auf das deutsche Normungsgeschehen gestärkt werden. 

Geschlossenes Votum in Frage gestellt 

In der Sitzung des DIN-Präsidiums wurde 2010 über Erfahrungen mit den Präsidialbeschlüssen zum geschlossenen Votum diskutiert. Laut Beschlussvorlage sollte das geschlossene Votum wegen der missbräuchlichen Verwendung seitens einzelner Kreise zurückgezogen werden. Im Übrigen sei es auch durch die Neufassung der internen Verfahrensregeln (Normenreihe DIN 820) überflüssig geworden.

Nach der gemeinsamen Intervention der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) und der im Präsidium vertretenen Bundesministerien sowie dem Einwand des Verbraucherschutzvertreters wurde der Beschlussvorlage jedoch nicht zugestimmt, sondern eine hochrangige Arbeitsgruppe des DIN-Präsidiums zum Thema eingerichtet. Diese hat im Jahre 2011 zweimal getagt, um zu konkretisieren, wann ein Kreis sich künftig auf das geschlossene Votum beziehen darf. Insbesondere sollte sichergestellt werden, dass es nicht missbräuchlich verwendet werden kann, ohne dabei jedoch unangemessene formale Hindernisse festzulegen.

Der Beschluss „für besondere Fälle“

Der Entwurf für die Neufassung des Präsidialbeschlusses stellte daraufhin klar, dass das geschlossene Votum ausschließlich die drei öffentlichen Interessen Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutz wahren soll. In der Arbeitsgruppe bestand ebenfalls bereits Konsens darüber, dass die KAN für den Arbeitsschutz und der Verbraucherrat des DIN (VR) für den Verbraucherschutz die jeweils einheitliche Meinung herbeizuführen haben. In der Sitzung des DINPräsidiums wurde am 4. November 2011 zudem vereinbart, dass ein geschlossenes Votum für den Umweltschutz gemeinsam vom Koordinierungsbüro Normungsarbeit der Umweltschutzverbände (KNU), dem Bundesumweltministerium (BMU) und dem Umweltbundesamt (UBA) getragen werden muss.

Die so als Präsidialbeschluss 07/2011 (DIN-Mitteilungen 2012-01: Ergebnisse der 64. ordentlichen Sitzung des Präsidiums des DIN vom 4. November 2011; S. 9) neu verabschiedete Prozedur ist als eine „Auslegung der DIN 820 in besonderen Fällen“ aufzufassen und ersetzt die beiden Vorgängerbeschlüsse 4/1996 und 1/2007. Um einem eventuellen Missbrauch vorzubeugen, beschränkt sie den Anwendungsbereich nun auf die drei öffentlichen Interessen und enthält eine ganze Reihe weiterer Kriterien, die eingehalten werden müssen:

 • Der Präsidialbeschluss gilt nur für europäische und internationale Normprojekte. Für die nationale Normungsarbeit sind die üblichen Schlichtungs- und Schiedsverfahren anzuwenden.

 • Solange die Position innerhalb des jeweiligen Kreises noch nicht abgestimmt ist, kann dieser Kreis sich nicht auf das geschlossene Votum berufen.

 • Die Organisation, die sich auf das geschlossene Votum beruft, muss den im Normungskomitee für den jeweiligen Kreis mitwirkenden Experten bereits vorher umfassend informiert haben, damit dieser die gemeinsame Position frühzeitig einbringen kann.

 • Das geschlossene Votum ist detailliert zu begründen. 

 • Insbesondere bei der Einspruchsverhandlung muss aktiv und kompromissbereit mitgewirkt werden.

 • Der Direktor des DIN muss festgestellt haben, dass die formalen Voraussetzungen erfüllt sind. 

Stabilität für die Zukunft 

Zwar soll das DIN noch die Folgen des Beschlusses für die Ministerien ermitteln und die Ergebnisse bei der diesjährigen Sitzung des DIN-Präsidiums zur Diskussion stellen. Es ist jedoch im Sinne des Arbeits-, Verbraucher- und Umweltschutzes zu hoffen, dass die schlüssig konkretisierte und einstimmig (bei zwei Enthaltungen) beschlossene Prozedur nun langfristig Bestand hat.

Corrado Mattiuzzo

mattiuzzo@kan.de