KANBrief 4/14
Im EU-Amtsblatt wird in Kürze ein Warnhinweis zur Norm EN 474-1 zur Sicherheit von Erdbaumaschinen veröffentlicht (inzwischen erschienen im Amtsblatt der EU vom 8. Januar 2015). Damit gilt deren Vermutungswirkung dann nicht mehr für die Anforderungen der Maschinenrichtlinie zur Sicht vom Fahrerplatz aus. Parallel wurde auf Anregung der europäischen Marktüberwachung eine kurzfristige Änderung der Norm ISO 5006 (Sichtfeld an Erdbaumaschinen) beschlossen.
Schwere Unfälle mit Erdbaumaschinen sind häufig auf unzureichende Sichtverhältnisse zurückzuführen. Ausgelöst durch zwei Petitionen an das Europäische Parlament, die auf diese Tatsache hinwiesen, hat die Europäische Kommission einen formellen Einwand gegen die Norm EN 474-1 „Erdbaumaschinen – Sicherheit – Teil 1: Allgemeine Anforderungen“ eingeleitet.
Die zuständigen Gremien der Europäischen Kommission – die Arbeitsgruppe zur Maschinenrichtlinie und der Ausschuss für Normung – unterstützten mehrheitlich diese Initiative. Die Norm wird als unzureichend angesehen, die Anforderungen der Maschinenrichtlinie Anhang I Punkte 1.2.2 (Einsehbarkeit der Gefahrenbereiche beim Ingangsetzen) und 3.2.1 (Sicht während Handhabung) umzusetzen, da sie zur Regelung der Sichtverhältnisse auf nicht ausreichende Anforderungen in der ISO 5006 verweist.
Konsequenzen des Verlusts der Vermutungswirkung
Der Hersteller ist verpflichtet, Maschinen konform zu den einschlägigen Anforderungen der Maschinenrichtlinie zu konstruieren. Wendet er harmonisierte Normen an, reicht ein Verweis auf die Erfüllung dieser Normen aus, um die Konformität mit den durch die Normen abgedeckten Anforderungen zu belegen. Durch den Warnhinweis im Amtsblatt entfaltet die Norm EN 474-1 hinsichtlich der Anforderungen zur Sicht die Vermutungswirkung nicht mehr. Die Erfüllung der entsprechenden Normanforderung reicht nicht mehr aus, um für diesen Aspekt die Konformität mit der Maschinenrichtlinie nachzuweisen. Die Hersteller müssen selbstverständlich weiterhin sicherstellen, dass die in Verkehr gebrachten Maschinen so konstruiert sind, dass sie gute Sicht für den Fahrer bieten und damit die oben angeführten Richtlinienanforderungen erfüllen. Zusätzlich müssen sie nun in den technischen Unterlagen die durchgeführte Risikobeurteilung sowie die Schritte angeben, die zur Einhaltung der Sichtanforderungen eingeleitet wurden.
Aktivität in den Normungsgremien
Anfang 2014 hat die Koordinierungsgruppe der europäischen Marküberwachungsbehörden (ADCO) CEN und ISO aufgefordert, schnellstmöglich die Sichtfeld-Messnorm ISO 5006 „Erdbaumaschinen – Sichtfeld – Testverfahren und Anforderungskriterien“ zu überarbeiten. ADCO führte fünf Punkte auf, die in einem ersten Schritt in die Norm eingeführt werden sollten:
• Direktsicht muss immer Priorität haben
• die Sicht im Nahfeld muss durch die Reduktion der Höhe des Messkörpers von 1,5 m auf 1,0 m verbessert werden
• Sichthilfsmittel wie Kamera-Monitor-Systeme oder Spiegel müssen in Vorwärtsrichtung angebracht sein
• Sichthilfsmittel dürfen nicht durch bewegliche Teile der Maschine (z. B. Baggerarm) beeinträchtigt werden
• Spiegel-zu-Spiegel-Systeme sind nicht zulässig. Das zuständige ISO-Gremium hat diese Anregung aufgegriffen und strebt an, die fünf Punkte des ADCO-Papiers in die ISO 5006 einzuarbeiten. Eine Veröffentlichung der geänderten Norm wird für Ende 2015 in Aussicht gestellt. In der EN 474-1 soll parallel dazu ein Verweis auf die geänderte Version der ISO 5006 eingefügt werden.
Ausblick
Werden die Anforderungen der ISO 5006 wie beschrieben geändert, so stellt das einen großen Schritt für die Verbesserung der Sichtverhältnisse an neu in Verkehr gebrachten Erdbaumaschinen dar. Erwartet wird, dass die Warnung im Amtsblatt zur EN 474-1 wieder entfallen kann, wenn alle aufgeführten Punkte eingearbeitet sind.
Es bleibt festzustellen, dass diese Schritte der Normung durch die Diskussion um die Einschränkung der Vermutungswirkung der EN 474-1 beschleunigt wurden. Die grundsätzliche Überarbeitung der ISO 5006 wurde zugunsten der schnellen Änderung zurückgestellt. Nach Veröffentlichung der Änderung soll sie wieder aufgenommen werden. Zukünftig soll diese Norm im Rahmen der Wiener Vereinbarung als EN ISO formuliert werden. Parallel werden auf europäischer Ebene derzeit alle 12 Teile der EN 474-Reihe „Erdbaumaschinen – Sicherheit“ überarbeitet. All diese Normungsprojekte müssen durch die interessierten Kreise aktiv begleitet werden.
Dr. Michael Thierbach
thierbach@kan.de