KANBrief 1/09

EN ISO 13849: Forschung erfolgreich in die Praxis umgesetzt Fragen an Dr. Michael Schaefer und Michael Dorra, BGIA

Zur Unterstützung der Normung für sicherheitsbezogene Teile von Steuerungen beteiligten sich von 1997 bis 2000 unter französischer Federführung neun europäische Prüf- und Forschungsinstitute sowie zwei Industrieunternehmen am EU-geförderten CEN/STAR-Projekt (Arbeitsgruppe bei CEN, deren Ziel die Stärkung der Zusammenarbeit zwischen Normung und Forschung ist) „STSARCES“ (Standards for Safety-Related Complex Electronic Systems). Der Projektbeitrag des Instituts für Arbeitsschutz der DGUV (BGIA (IFA)) lieferte einige der Grundlagen für die Norm EN ISO 13849-1 (Sicherheit von Maschinen – Sicherheitsbezogene Teile von Steuerungen – Teil 1: Allgemeine Gestaltungsleitsätze).

Was war der Anlass des CEN/STAR-Projektes STSARCES?

Die Verfeinerung und Flexibilisierung der Produktionstechnik erfordert immer komplexere Sicherheitsfunktionen, die sich nur mit Hilfe von Rechnertechnik realisieren lassen. Beispiele sind Bewegungs- und Geschwindigkeitsüberwachung oder optische Bereichsabsicherungen. Damit stellte sich die Aufgabe, die Zuverlässigkeit dieser nicht per se sicheren Technologie zu garantieren und prüftechnisch zu bewerten.

Die angestammte Norm EN 954-1 für sicherheitsbezogene Steuerungen genügte nicht mehr, weil sie nur von bewährter Mechanik, Elektromechanik, Hydraulik und Pneumatik ausging. Von der IEC wurde für die funktionale Sicherheit elektronischer und programmierbarer elektronischer Systeme die Normenreihe IEC 61508 (Funktionale Sicherheit sicherheitsbezogener elektrischer/elektronischer/ programmierbarer elektronischer Systeme) aufgelegt. Da sie sich jedoch stark an den Gegebenheiten der Prozessindustrie mit den dort üblichen komplexen sicherheitstechnischen Vernetzungen der Anlagenkomponenten orientiert, waren viele Maschinenbauer mit der Norm überfordert. Das Projekt STSARCES sollte die Normungsarbeit unterstützen, um den Einsatz innovativer und flexibler Technik zu fördern. Ergebnis ist eine Norm, mit der nachweisbar das im Maschinenbau notwendige Sicherheitsniveau eingehalten werden kann und die dennoch für Konstrukteure handhabbar ist.

Welchen Nutzen haben die Projektergebnisse für die ISO 13849–1?

Da viele Produktnormen Verweise auf Kategorien der EN 954-1 enthalten, wurde die bewährte qualitative Kategorie-Systematik beibehalten, jedoch um eine aus der IEC-Normenreihe entwickelte wahrscheinlichkeitsbasierte quantitative Bewertung in Form des so genannten Performance Levels erweitert. Damit können auch neueste Technologien angemessen behandelt werden.

Im Rahmen von STSARCES konnten einige grundlegende Sachverhalte beschrieben werden, die die quantitativen Aspekte der funktionalen Sicherheit speziell im Maschinenbereich betreffen. Den Anwendern der EN ISO 13849-1 wird die quantitative Bewertung ihrer Produkte erleichtert und in zahlreichen Fällen eine der schwierigsten Teilaufgaben, die mathematische Modellierung, erspart. Die im Projekt untersuchten und modellierten Systemstrukturen bilden als so genannte „Vorgesehene Architekturen“ (englisch: designated architectures) einen Grundstock zur Klassifizierung und einfachen Quantifizierung gängiger Steuerungen mit Sicherheitsaufgaben. Fortgeschrittene Normanwender haben gleichwohl die Freiheit, anhand der in der Norm definierten technischen Größen und Prinzipien die Einhaltung der quantitativen Anforderungen eigenständig nachzuweisen.

Warum hat sich das BGIA (IFA) am Projekt STSARCES beteiligt?

Mitarbeit bei der Normung arbeitsschutzrelevanter Produkte ist eine Kern-Aufgabe des BGIA (IFA). Im speziellen Fall war die Überbrückung der Diskrepanz zwischen der technologischen Entwicklung und den zertifizierungsrelevanten Normen besonders dringlich. Mit der finanziellen Förderung durch die Europäische Union konnte ein internes Forschungsprojekt durchgeführt werden. Die Ergebnisse konnten wir nutzen, um in Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen und Industrievertretern auf europäischer Ebene konsensfähige Konzepte für die Normung innovativer sicherer Technik zu erarbeiten.

Beim BGIA (IFA) konnte durch STSARCES gezielt Know-how auf dem Gebiet der Probabilistik (Wahrscheinlichkeitsmathematik) ausgebaut werden, welche eines der Schlüsselelemente zum Nachweis der Sicherheit von komplexer Technik darstellt.

Worin besteht die Bedeutung von Forschungsprojekten für die Normung?

Es ist von großem Wert, wenn die theoretischen Grundlagen, die hinter Normanforderungen stehen, nicht nur mit der erforderlichen Sorgfalt, sondern auch frei von kommerziellen Interessen herausgearbeitet werden können. Sicherheitsnormen müssen das ethisch und volkswirtschaftlich gebotene Sicherheitsniveau technisch formulieren und prüfbar machen. Das Projekt STSARCES ist ein gutes Beispiel dafür, wie Forschungsergebnisse durch eine enge Verzahnung von Forschung und Normung erfolgreich in die Praxis transportiert werden können.

Michael Schäfer
michael.schaefer@dguv.de

Michael Dorra
michael.dorra@dguv.de