KANBrief 4/24

Die KAN positioniert sich zum Instrument der Common Specifications

Für den Fall, dass die europäischen Normungsorganisationen trotz bestehender Normungsaufträge keine harmonisierten Normen vorlegen oder diese unzureichend sind, hat die Europäische Kommission mit den Common Specifications eine Ausweichlösung geschaffen. Die KAN hat zu diesem Instrument ein Positionspapier veröffentlicht.

Common Specifications sind europäische Durchführungsrechtsakte, die sicherstellen sollen, dass im Falle nicht vorhandener oder unzureichender harmonisierter Normen dem öffentlichen Interesse, wie beispielsweise dem Schutz der Sicherheit und Gesundheit, dennoch Genüge getan wird. Sie sind technische Spezifikationen, die in gleicher Weise wie Normen die Harmonisierung von Produktanforderungen zum Ziel haben.

In Anbetracht der Rolle von harmonisierten Normen im Binnenmarkt sollen Common Specifications jedoch lediglich als Ausweichlösung dienen. Die Kommission könnte dann auf sie zurückgreifen, wenn sie die europäischen Normungsorganisationen bereits aufgefordert hatte, eine entsprechende harmonisierte Norm zu erarbeiten, aber dieser Auftrag nicht angenommen worden ist, die gewünschte Norm nicht innerhalb einer gesetzten Frist erarbeitet worden ist oder die gelieferte Norm nicht dem Auftrag entspricht. Darüber hinaus darf es keine harmonisierte Norm geben, die die Anforderungen aus dem Normungsauftrag bereits erfüllt.

Bisher sind die grundlegenden Bedingungen zum Erlass von Common Specifications sowie Vorschriften zu ihrer Erarbeitung nur in verschiedenen sektorspezifischen Einzelrechtsakten zu finden, beispielsweise in der Maschinenverordnung oder der Verordnung über Künstliche Intelligenz. Einen horizontalen Regelungsrahmen zu diesem Instrument gibt es nicht. Die Einzelrechtsakte enthalten auch keine Hinweise darauf, wie genau die Europäische Kommission die technisch anspruchsvollen Common Specifications erarbeitet und wie sie die hierfür erforderliche Expertise sicherstellt.

Die Position der KAN

Als Stimme des deutschen Arbeitsschutzes in und gegenüber der Normung vertritt die KAN daher folgende Position:

  • In der Normungsarbeit bilden Regeln darüber, wie sich die für die Arbeit zuständigen Ausschüsse zusammensetzen, wie sich die betroffenen Kreise an der Normungsarbeit beteiligen können und durch welche Prozeduren die Arbeitsdokumente zur Veröffentlichung freigegeben werden, ein wichtiges Fundament. Aus Sicht der KAN sollten auch Common Specifications auf Grundlage klarer, rechtsverbindlicher Kriterien und innerhalb eines transparenten Verfahrens erarbeitet und erlassen werden.
  • Um eine Fragmentierung und Inkohärenz des Normen- und Regelwerks zu verhindern, ist es erforderlich, die Voraussetzungen und das Verfahren zu Erarbeitung, Erlass und Veröffentlichung von Common Specifications in einem einzigen horizontalen Rechtsrahmen für alle Binnenmarktvorschriften verbindlich zu regeln.
  • Von dem Instrument der Common Specifications sollte nur in Ausnahmefällen Gebrauch gemacht werden.
  • Normen werden konsensbasiert und im Idealfall von denjenigen erarbeitet, die die Normen auch nutzen. So entsteht Vertrauen in das Endprodukt. An der Erarbeitung können sich zudem potentiell alle gesellschaftlichen Interessenträger, darunter auch der Arbeitsschutz, beteiligen. Zwar sieht auch das Verfahren zu Durchführungsrechtsakten eine gewisse Beteiligung von Interessenträgern vor. Da es sich allerdings bei Common Specifications um eine technisch anspruchsvolle Regelungsmaterie handelt, sollten auch hier bereits frühzeitig relevante Fachleute und alle betroffenen Kreise, inklusive gesellschaftlicher Interessenträger, mit ihrer Expertise einbezogen werden.

Bereits in der EU-Strategie für Normung (S. 6) aus dem Jahre 2022 hat die Kommission erklärt, dass sie auf einen horizontalen Ansatz hinarbeite. Dieser soll Kriterien und Verfahren festlegen, wann und unter welchen Bedingungen die Kommission zum Erlass von Common Specifications ermächtigt werden kann. Es bleibt abzuwarten, wann und wie die Europäische Kommission sich dieses Arbeitsauftrags annimmt.

Ronja Heydecke
heydecke@kan.de

Katharina Schulte
schulte@kan.de