KANBrief 4/24
An der Schnittstelle zwischen der Normung im Bereich des nationalen Bauordnungsrechts und dem nachgeordneten Regelwerk des nationalen Arbeitsstättenrechts einschließlich der dafür relevanten Normen können Überschneidungen und Konflikte auftreten. Die KAN hat ein Rechtsgutachten veröffentlicht, welches dieses Spannungsfeld beleuchtet.
Bauliche Anforderungen an Arbeitsstätten sind in Deutschland vorrangig im Arbeitsstätten- und im Bauordnungsrecht festgelegt. Beide Rechtsgebiete verfolgen eine unterschiedliche Zielsetzung: Während das Arbeitsstättenrecht der Sicherheit und dem Schutz der Gesundheit der Beschäftigten beim Errichten und Betreiben von Arbeitsstätten dient, verfolgt das Bauordnungsrecht allgemein das Ziel der Gefahrenabwehr bei baulichen Anlagen. An den Schnittstellen der beiden Rechtsbereiche können sich ggf. Widersprüche ergeben. Aus Sicht des Arbeitsstättenrechts gibt es insbesondere in folgenden Bereichen Berührungspunkte zum Bauordnungsrecht: Brandschutz, Fluchtwege, Verkehrswege und Bewegungsflächen, Beleuchtung/Tageslicht, Barrierefreiheit, Lärm/Schallschutz und Belüftung.
Sowohl im Bereich des Arbeitsstättenrechts als auch des Bauordnungsrechts gibt es ein nachgeordnetes Regelwerk, wie Technische Regeln für Arbeitsstätten (ASR) oder Technische Baubestimmungen. Solche konkreten Vorgaben sind unverzichtbare Leitlinien für diejenigen, die Gebäude planen und errichten. Aufgrund ihrer Konkretheit spielen technische Regeln und Normen in der Praxis eine zentrale Rolle.
Immer mehr technische Normen (etwa zu Planung, Bau und Inbetriebnahme) betreffen bauliche Anlagen, die als Arbeitsstätte dienen und in denen daher sowohl das Bauordnungs- als auch das Arbeitsstättenrecht zu beachten ist. Beispiele hierfür sind Schulen, Laboratorien, Kläranlagen, Feuerwehrhäuser, Rettungswachen oder auch die Barrierefreiheit von Gebäuden und Sportstätten. In der Normung von Bauwerken kommt es jedoch immer wieder vor, dass nationale Regelungen und Vorschriften zum Arbeitsschutz nicht berücksichtigt werden, da in den Gremien häufig nicht aus beiden Rechtsbereichen Fachleute mitarbeiten. Dies kann dazu führen, dass sich die Anforderungen in Normen von den nationalen Arbeitsschutzvorschriften unterscheiden oder ihnen gar widersprechen.
Um das beschriebene Spannungsfeld genauer zu betrachten, hat die KAN ein juristisches Gutachten1 vergeben. Darin wurde systematisch untersucht, wo es Überschneidungen oder Kollisionen zwischen den beiden Rechtsbereichen gibt und wie diese rechtlich einzuordnen sind. Insbesondere wird dargelegt, welche rechtlichen Folgen sich für die Normanwender (z.B. Arbeitgeber, Bauherren, Architekten/Planer) ergeben, wenn Bauordnungsnormen mit nationalen Arbeitsschutzregelungen (wie z.B. ASR, DGUV-Vorschriften) oder Normen, die Anforderungen an Arbeitsstätten beinhalten, kollidieren.
Das Gutachten verdeutlicht, dass das Problem nicht übereinstimmender Anforderungen vor allem auf den nachgeordneten Regelungsebenen besteht. Wie die Praxis zeigt, sind solche Kollisionen nicht die Regel. In den Einzelfällen, in denen sie dennoch auftreten, können sie jedoch insbesondere für die Anwendenden des Normen- und Regelwerks zum Teil weitreichende rechtliche Konsequenzen haben.
Gesetzliche Kollisionsregeln wie § 3a Abs. 4 ArbStättV, der anderen Rechtsvorschriften und insbesondere dem Bauordnungsrecht der Länder Vorrang einräumt, soweit diese über die Anforderungen der Arbeitsstättenverordnung hinausgehen, helfen zwar bedingt weiter. Häufig gibt es jedoch für Kollisionen technischer Normen aus dem Bauordnungs- mit technischen Regeln aus dem Arbeitsstättenrecht keine anwenderfreundliche und vor allem keine umfassend rechtssichere Lösung. Ob es eine Lösung gibt, hängt vor allem von folgenden Faktoren ab:
Auch das Einbeziehen der Behörden kann nicht in allen Fällen eine eindeutige Lösung möglicher Konflikte herbeiführen. Dies liegt daran, dass zum einen mehrere Behörden zuständig sind und zum anderen Arbeitsschutzbehörden in der Regel nicht verpflichtend in das Baugenehmigungsverfahren vor Errichtung der Arbeitsstätte einzubinden sind. Weiterhin entstehen bei der Frage nach einer möglichen Nachrüstung aufgrund geänderter Vorgaben vergleichbare rechtliche Unsicherheiten wie vor der Errichtung eines Gebäudes.
In der Praxis des Bauwesens werden insbesondere technische Normen von DIN (unabhängig davon, ob sie rein national erarbeitet oder von internationalen oder europäischen Normungsorganisationen übernommen sind) ähnlich wie unmittelbar geltendes Recht verstanden und angewendet. Zudem haben sie in der Regel zivil- und strafrechtliche Bedeutung. Daher stellt ihre Kollision mit dem technischen Arbeitsschutzregelwerk Anwendende vor erhebliche Probleme. Dies sogar dann, wenn die technischen Normen nicht über ein Gesetz ausdrücklich in Bezug genommen wurden. Nur wenn es gar nicht erst zu Konflikten kommt, können die in der Praxis Verantwortlichen wie Bauherren, Architekten und Arbeitgeber die technischen Regeln und Normen uneingeschränkt anwenden, ohne rechtliche Risiken einzugehen.
Ein Auftrag der KAN ist es, ein praxisgerechtes, kohärentes und anwenderfreundliches Arbeitsschutz-Regelwerk zu unterstützen. Die Ergebnisse des Gutachtens sollen daher insbesondere bei der Gremienarbeit als Argumentationshilfe dienen und für noch mehr Kohärenz im Normen- und Regelwerk sorgen.
Katharina Schulte
schulte@kan.de
1 Kanzlei Redeker Sellner Dahs: Gutachten zur Kohärenz des Regelwerks des nationalen Bauordnungs- und Arbeitsstättenrechts und dessen Bedeutung für die Normung (Link siehe Box)