KANBrief 2/24
Normung ist längst keine nationale Angelegenheit mehr, sondern sollte möglichst breit international abgestimmt werden. Für die parallele Erarbeitung von Normen auf internationaler und europäischer Ebene gelten spezielle Regeln.
Um die Zusammenarbeit der internationalen und der europäischen Normungsorganisationen zu fördern, gibt es seit vielen Jahren zwei Abkommen. Die Wiener Vereinbarung (Vienna Agreement) regelt die Zusammenarbeit von ISO und CEN. Für die elektrotechnische Normung haben IEC und CENELEC zuletzt mit der Frankfurter Vereinbarung (Frankfurt Agreement) die Grundlage für ihre Kooperation aktualisiert.
Die Wiener Vereinbarung von ISO und CEN
Die technische Zusammenarbeit zwischen ISO und CEN wurde 1991 beschlossen und 2001 nochmals angepasst. Die Vereinbarung eröffnet mehrere Kooperationsmöglichkeiten zwischen den Technischen Komitees (TCs) von ISO und CEN mit gleichem fachlichen Aufgabengebiet. Diese Kooperationen können von den jeweiligen Komitees unterschiedlich vertieft und selbst abgeschlossen werden. Die erste Stufe der Kooperation sieht lediglich eine gegenseitige Informationsweitergabe vor. Die zweite Stufe umfasst die gegenseitige Repräsentation im jeweils anderen Gremium. In der umfangreichsten Form der Kooperation erarbeiten die Komitees ihre Standards miteinander und verabschieden diese parallel. Es besteht auch die Möglichkeit, dass keine Kooperation zustande kommt.
Beide TCs können sich für eine gemeinsame Erarbeitung entscheiden, sobald es einen Vorschlag für eine neue Norm in einem der Gremien gibt. In diesem Fall wird die Federführung (Lead) einem der TCs übertragen, in welchem dann auch die Arbeitssitzungen stattfinden und nach dessen Regeln der Normungsprozess abläuft. Im Regelfall liegt die Federführung beim jeweiligen ISO-Gremium. Das nicht-federführende Gremium kann bis zu vier Beobachter entsenden, die in der Entwurfsphase Kommentare für ihr Gremium einbringen können.
Kernelement der Wiener Vereinbarung ist die parallele Abstimmung. Dies bedeutet, dass die öffentliche Umfrage und die Schlussabstimmung zum Normentwurf bei ISO und CEN jeweils parallel stattfinden. Sofern diese in beiden Organisationen ein positives Resultat haben, kann eine identische Publikation als ISO- und als EN-Norm erfolgen. Erreicht man in einer der Organisationen nicht die erforderliche Zustimmung, werden Beratungen zwischen ISO und CEN eingeleitet, um auszuloten, ob die gemeinsame Erarbeitung der Norm weiterhin sinnvoll ist. Denkbar ist außerdem, dass die Norm nur von einer Organisation veröffentlicht wird – dann gibt es keine identische Norm. Fällt die Abstimmung in beiden Organisationen negativ aus, wird der Entwurf an das zuständige Gremium zurückgegeben.
Das Frankfurter Abkommen von IEC und CENELEC
Die Normungsorganisationen IEC und CENELEC haben mit dem Frankfurt Agreement eine vergleichbare Vereinbarung zur Zusammenarbeit. Die Zusammenarbeit der beiden Organisationen wurde 1991 mit der Luganer Vereinbarung eingeleitet. 1996 folgte die Aktualisierung als Dresdner Vereinbarung, 2016 der Abschluss der nachfolgenden Frankfurter Vereinbarung, die noch heute gilt. Die Frankfurter Vereinbarung gibt der internationalen Normung im Bereich Elektrotechnik grundsätzlichen Vorrang. Dies wird durch verschiedene Maßnahmen erreicht.
Wird ein Normungsbedarf auf europäischer Ebene erkannt, so wird zunächst ermittelt, ob die Norm auf internationaler Ebene bei IEC erarbeitet werden kann. Sofern sich der Normungsbedarf nicht rein auf die europäische Ebene beschränkt, kann so sichergestellt werden, dass gleich eine internationale Norm entsteht.
Parallele Abstimmungen sind im Verhältnis IEC und CENELEC der Regelfall, ohne dass es einer gesonderten Vereinbarung zwischen den TCs bedarf. Sobald ein Entwurf bei IEC in die öffentliche Umfrage gegeben wird, wird also in der Regel gleichzeitig auch die europäische Umfrage bei CENELEC eingeleitet. Gleiches gilt für die Schlussabstimmung. Ausnahmen hiervon gibt es lediglich, wenn das Technische Büro (BT) von CENELEC keinen europäischen Bedarf sieht, oder bei Änderungsentwürfen zu IEC-Normen, die bislang nicht europäisch übernommen wurden. Wird eine Norm eigenständig von CENELEC entwickelt, zum Beispiel wenn kein entsprechendes IEC-Gremium besteht, so wird diese für eine potenzielle Umwandlung in eine internationale Norm bei IEC vorgelegt. Hierbei kann ebenfalls eine parallele Abstimmung eingeleitet werden.
Nationale Auswirkungen
In den Abstimmungen bei ISO, IEC, CEN und CENELEC geben die Mitglieder ihr nationales Votum ab. Für die Annahme von Entwürfen in der Umfrage und in der Schlussabstimmung müssen je nach Organisation unterschiedliche Mehrheitsverhältnisse erfüllt sein. Werden die Normen nur auf internationaler Ebene angenommen, so steht es den Mitgliedern frei, diese Normen auch national zu veröffentlichen (in Deutschland zum Beispiel als DIN ISO). Wenn die internationalen Normen aber auf europäischer Ebene angenommen werden, so sind die Mitgliedsorganisationen von CEN bzw. CENELEC zur identischen nationalen Übernahme verpflichtet (z. B. als DIN EN ISO) und müssen alle entgegenstehenden nationalen Normen zurückziehen. Dieser Mechanismus macht die Wiener Vereinbarung und die Frankfurter Vereinbarung auch für die nationale Normungsarbeit so bedeutend.
Ausblick
War die internationale Normungsarbeit früher stark geprägt von den Industrienationen der westlichen Welt, so stoßen in jüngster Zeit neue mächtige Akteure in die Normungswelt vor. Insbesondere China hat die Bedeutung von Industrie-, Dienstleistungs- und Managementnormen erkannt und besetzt vermehrt Schlüsselpositionen (Vorsitze und Sekretariate) in den internationalen Gremien. Dies wird durch die sogenannte „Belt and Road Initiative“ unterstützt, in deren Zuge starke wirtschaftliche Verflechtungen mit Schwellen- und Entwicklungsländern weltweit eingegangen werden. Obwohl die Beteiligung von europäischen Fachleuten in der Normung immer noch sehr hoch ist, wird diese auf Grund der Zeit- und Kostenintensivität zunehmend auf den Prüfstand gestellt.
Indes lässt sich zumindest bei ISO ein Trend zur Entwicklung von immer mehr Normen erkennen. Derzeit gibt es mehr als 25.000 ISO-Normen. Anfang 2017 lag diese Zahl noch bei rund 21.000. Es zeigt sich aber auch ein unterschiedliches Verständnis von Normung und deren Einsatzbereichen. So sehen viele Länder Normen als Möglichkeit, ein Regelwerk in Bereichen aufzustellen, in denen sie bisher keine Gesetze oder Vorschriften haben. Damit niedrigschwellige Normen das in Europa existierende Regelwerk nicht untergraben, bedarf es einer genauen Prüfung, welche internationalen Normprojekte für eine europäische bzw. nationale Übernahme in Frage kommen.
Freeric Meier
meier@kan.de
Katharina Schulte
schulte@kan.de