KANBrief 2/24
Aus dem weltweiten Wettbewerb, dem Klimawandel und dem Fachkräftemangel ergeben sich auch für die Normung neue Anforderungen. Knut Blind, der als Verantwortlicher des Deutschen und Europäischen Normungspanels seit vielen Jahren verschiedene Aspekte der Normung analysiert, wirft einen Blick auf die wichtigsten Handlungsfelder.
Die Normung sieht sich aktuell zahlreichen Herausforderungen ausgesetzt, die durch verschiedene interne, aber auch externe Faktoren verursacht werden. Intern schlägt der allgemeine Fachkräftemangel auch in der Normung durch. Derzeit sind mehr als 60 % der Experten und Expertinnen über 50 Jahre alt, so dass sich demnächst mehrere Tausend in den Ruhestand verabschieden werden (siehe European Standardisation Panel Final Report). Parallel sind Frauen noch stark unterrepräsentiert, wobei hier in den letzten Jahren schon eine leichte Trendwende zu beobachten ist.
Extern wird die Normung durch eine zunehmende Dynamik in Wissenschaft und Technologie, aber auch durch die Digitalisierung herausgefordert. Denn insbesondere Themen wie künstliche Intelligenz und Quantentechnologie, aber auch die Kreislaufwirtschaft, erfordern neue Normungsprojekte und die Unterstützung durch kompetente Fachleute, die jedoch – wie oben illustriert – zunehmend knapp werden.
Gleichzeitig ist der Klimawandel die größte Herausforderung für die Menschheit, zu deren Bewältigung aber die Normung durchaus einen Beitrag leisten kann. Allerdings sind ihre Potenziale hier leider noch nicht ausgeschöpft (Blind et.al. (2022): Deutsches Normungpanel: Indikatorenbericht 2022 - Normen, Normung).
Regulatorische und politische Rahmenbedingungen
Die Normung in Deutschland und Europa ist eingebettet in verschiedene Politikinitiativen und entsprechende regulative Rahmenbedingungen. Durch zahlreiche Aktivitäten der Europäischen Kommission zur Regulierung künstlicher Intelligenz, Cybersicherheit und -resilienz, aber auch der Datenökonomie kommen weitere Herausforderung auf die Normung zu, denn diese soll die Gesetzesvorhaben durch entsprechende Normen unterfüttern. Ansonsten wird die Europäische Kommission Spezifizierungen verstärkt selbst erstellen, wobei dann eine adäquate Einbindung der Industrie und anderer Stakeholder nicht unbedingt gesichert ist.
Parallel dazu wird das Geschäftsmodell der Normungsinstitute durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes, bekannt unter dem Stichwort Malamud, in Frage gestellt. Demnach ist der freie Zugang zu – zugegebenermaßen aktuell noch einer sehr kleinen Anzahl an – harmonisierten europäischen Normen zu gewähren, die in europäischen Regulierungen referenziert sind. Die langfristigen Konsequenzen dieses Urteils sind für die in Europa ansässigen Normungsorganisationen, aber auch für die europäische Normung im internationalen Kontext, noch nicht abzusehen.
Schließlich muss die europäische Normung auch im Kontext zunehmender geopolitischer Spannungen gesehen werden. Zum einen verstärkt China weiter sein Engagement in der internationalen Normung. Zum anderen üben die amerikanischen Technologiefirmen einen zunehmenden Einfluss in der Normung aus. Zusammengenommen werden dadurch nicht nur die Normung, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit und die Werte Europas herausgefordert.
Neue Initiativen sind gefragt
In Summe steht die Normung in Deutschland und Europa vor einer Reihe großer Herausforderungen. Allerdings braucht es Normen, um den globalen Aufgaben wie der Bewältigung des Klimawandels, aber auch der Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit und der europäischen Werte, gewachsen sein zu können. Folglich gilt es, eine Reihe von Initiativen zu starten bzw. zu verstärken.
Zunächst gilt es, den Pool an in der Normung aktiven Fachleute zu sichern, kontinuierlich zu verjüngen und diverser zu machen. Grundsätzlich müssen also noch mehr Frauen für die Normung gewonnen werden, um dem drohenden Schrumpfen des Pools an Mitarbeitenden aus Deutschland und Europa zu begegnen. Dazu gilt es, schon in den Universitäten, aber vielleicht auch in Schulen, die Relevanz des Themas deutlicher zu machen. Das europäische Projekt EDU4Standards.eu soll dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Sinnvoll wäre es auch, die Bedeutung der Normung zur Bewältigung des Klimawandels, aber auch zur Erreichung der anderen Nachhaltigkeitsziele inklusive Energieeffizienz, stärker in den Lehrinhalten hervorzuheben.
Der Dynamik in Forschung und Entwicklung und deren Implikationen für die Normung muss durch eine Ausweitung sowohl der staatlichen Förderprogramme auf Normungsaktivitäten als auch der steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung Rechnung getragen werden.
Die zunehmende Einbettung von Normen in europäische Politikinitiativen und die Ausgestaltung regulativer Rahmenbedingungen muss frühzeitig in Normungsprozessen, aber auch der Ausgestaltung von Regulierungen berücksichtigt werden, um deren Zusammenspiel zu optimieren bzw. Friktionen zu verhindern. Die europäischen Normungsinstitute müssen ihre Geschäftsmodelle strategisch weiterentwickeln, um gegen mögliche weiterreichende Konsequenzen des Malamud-Urteils des europäischen Gerichtshofs gewappnet zu sein. Hier sind sowohl neue Produkte und Dienstleistungen als auch Preismodelle gefragt.
Schließlich kann Europa den geopolitischen Herausforderungen in der Normung nur durch eine weiterhin starke Präsenz europäischer Experten und Expertinnen begegnen. Hierfür stehen bereits finanzielle Mittel sowohl durch nationale Programme wie WIPANO als auch europäische Projekte wie StandICT5 und SEEBLOCKS6 zur Verfügung. Parallel müssen frühzeitig Koalitionen mit gleichgesinnten Staaten eingegangen werden, wie es im neu gestarteten EU-Projekt INSTAR7 geplant ist.
Insgesamt braucht es ein strategisches und damit langfristig ausgerichtetes Vorgehen, das Akteure weit über die Normung hinaus, wie Bildungs- und Forschungseinrichtungen, aber auch die Regulierer, auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene mit einbindet.
Prof. Dr. Knut Blind
Fraunhofer ISI & TU Berlin