KANBrief 2/24

Gender-Kluft im Arbeitsschutz: Wie Feuerwehrfrauen bei PSA benachteiligt werden

Von Feuerwehrleuten genutzte Technik ist bislang vornehmlich auf die Anthropometrie von Männern angepasst. Gestaltungshinweise für eine geschlechtergerechte Gestaltung fehlen oft. Weiterhin sind die zugrunde gelegten anthropometrischen Daten oft veraltet.

Technik, die zur Nutzung durch Endanwenderinnen und Endanwender konzipiert ist, ist meistens (mindestens implizit) primär auf männliche Nutzer abgestimmt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass für Konstruktion und Prüfung vieler Produkte als Normperson ein standardisierter Mann (nach DIN 33402-21 aktuell 1,75 m und 79 kg, in vielen Normen sogar nur 75 kg) angenommen wird.

Das Bewusstsein für diese Missstände ist in den letzten Jahren gewachsen. Die Internationale Organisation für Normung (ISO) arbeitet an einem Normentwurf, um in Zukunft alle einschlägigen Normen auf Geschlechtergerechtigkeit zu überprüfen und bei Bedarf weiterzuentwickeln2. Die bislang verwendeten, häufig veralteten Körpermaße werden ebenfalls gerade hinterfragt.

In einer 2024 veröffentlichten Studie im Auftrag der Europäischen Kommission wurden 2.650 harmonisierte europäische Normen mit Bezug zum Arbeitsschutz darauf untersucht, ob und in welcher Qualität anthropometrische Daten berücksichtigt werden. In 36 % dieser Normen sind anthropometrische Daten relevant, werden jedoch vielfach nur unzureichend berücksichtigt oder sind veraltet. Bei 76 Normen werden die potentiellen Auswirkungen der Nichtberücksichtigung auf Gesundheit und Sicherheit als hoch eingeschätzt. Mitunter enthalten harmonisierte Normen zwar auch aktuelle Maße, jedoch oft nur für Männer.

Sicherheit und Geschlechtergerechtigkeit bei Feuerwehrschutzbekleidung

Welche Konsequenzen eine nicht adäquat geschlechtergerechte Gestaltung von Technik hat, zeigt das Beispiel der Schutzbekleidung von Feuerwehrfrauen. In einer Interviewstudie wurden über 1.700 Feuerwehrfrauen und -männer unter anderem zum Komfort und zum Passverhalten ihrer persönlichen Schutzbekleidung (PSA) befragt. Feuerwehrfrauen finden bei der PSA schlechtere Bedingungen vor und fühlen sich im Vergleich zu Feuerwehrmännern schlechter geschützt: Die Bekleidung passt ihnen schlechter, da zum Beispiel Jacken über der Hüfte nicht schließen und Hosen an der Taille zu weit, an den Beinen zu eng oder insgesamt zu lang sind (siehe unten).

In einer weiteren Studie wurden Unfallmeldungen der freiwilligen Feuerwehren ausgewertet. Es konnte aufgezeigt werden, dass Feuerwehrfrauen tatsächlich ein mehr als doppelt so hohes Unfallrisiko (205,7 %) haben wie Männer und auch schwerere Unfälle erleiden. Dies ist zumindest teilweise auf für Frauen schlecht zugeschnittene PSA und Arbeitsmittel zurückzuführen.

Ein Grund für diesen schlechteren Schutz liegt darin, dass Feuerwehrschutzbekleidung primär für die männliche Mehrheit der Nutzenden geschaffen ist, obwohl in Gesetzen und Normen eine auf eine breite Nutzendenschaft ausgerichtete Konfektion gefordert wird. In technischen Normen werden lediglich Leistungsanforderungen für die Schutzfunktionen, aber keine Fertigungsmaße vorgegeben. Die Verantwortung, bei der Gestaltung der Kleidung sowohl Männer als auch Frauen zu berücksichtigen, tragen die Hersteller. Dies ergibt sich auch aus den Vorgaben zu Bewegungsfreiheit und Tragekomfort der DIN EN ISO 13688 „Schutzkleidung – Allgemeine Anforderungen“.

Gleichzeitig enthalten die von der Innenministerkonferenz verabschiedeten Herstellungs- und Prüfungsbeschreibungen für Feuerwehrschutzbekleidung (HuPF)3 in vielen Bundesländern Fertigungsmaße als Mindeststandard – allerdings fast ausschließlich für Männer. Die Hersteller können zwar von diesen Vorgaben abweichen, tragen dann aber die Verantwortung dafür, dass die Sicherheit weiterhin gewährleistet ist.

In Deutschland ist nach dem HuPF-Regelwerk die Anwendung der europäischen Norm DIN EN 469 „Leistungsanforderungen für Schutzkleidung für Tätigkeiten der Feuerwehr“ vorgeschrieben3. Daraus resultieren sowohl Vor- als auch Nachteile. Feuerwehrschutzbekleidung ist ein Produkt mit einer garantierten Mindestqualität und mit standardisierten Produkteigenschaften, die bei der Beschaffung gut miteinander verglichen werden können. Sie ist aber auch ein Produkt, das infolge starker Regulierung nur aufwändig und risikobehaftet weiterentwickelt werden kann.

Rahmenbedingungen für mehr Flexibilität schaffen

Hersteller dürfen davon ausgehen, dass bei Befolgen der harmonisierten Norm die wesentlichen Anforderungen der einschlägigen europäischen Rechtsgrundlagen an die Gestaltung eines Produktes erfüllt wurden. Wenn jedoch in harmonisierten Normen formulierte Anforderungen unvollständig oder veraltet sind – beispielsweise weil die für Prüfungen von Hitzeschutzbekleidung4 verwendeten Prüfpuppen mit einer Größe von 1810±60 mm eher männliche als weibliche Maße aufweisen – besteht die Gefahr, dass zwar normkonforme, jedoch für die Nutzenden potentiell gefährdende Produkte gestaltet werden.

Es ist unerlässlich, dass die veränderlichen Randbedingungen, vor allem anthropometrische Maße, in Normen und Regelwerk aktuell gehalten werden. Werden Maße explizit vorgegeben, dann müssen auch Frauenmaße Eingang in die Anforderungen finden. Auch müssten eventuell zulässige Abweichungen deutlich herausgestellt werden. Dadurch werden Hersteller befähigt, zeitgemäße Technik zu entwickeln und Nutzende können die am Markt verfügbaren Angebote besser bewerten und adäquate, moderne und für eine vielfältige Nutzendenschaft geeignete Produkte einfordern. Auch Arbeitgebern wird es dadurch erheblich erleichtert, ihrer Verpflichtung nachzukommen, individuell auf jede und jeden Beschäftigten abgestimmte persönliche Schutzeinrichtung zur Verfügung zu stellen.

Carsten Schiffer, M. Sc.
c.schiffer@iaw.rwth-aachen.de

Prof. Dr.-Ing. Dr. rer. medic.
Dipl.-Inform. Alexander Mertens
a.mertens@iaw.rwth-aachen.de

1 DIN 33402-2:2020-12, Ergonomie – Körpermaße des Menschen – Teil 2: Werte
2 ISO/FDIS 53800, Guidelines for the promotion and implementation of gender equality and women's empowerment
3 Innenministerkonferenz (2020), Herstellungs- und Prüfungsbeschreibung für eine universelle Feuerwehrschutzbekleidung, Teil 1 bis 4
4 DIN EN ISO 13506-1:2017-12, Schutzkleidung gegen Hitze und Flammen –
Teil 1: Prüfverfahren für vollständige Bekleidung – Messung der Wärmeübertragung unter Verwendung einer sensorbestückten Prüfpuppe

Geschlechterspezifischer Vergleich der Feuerwehrbekleidung (Feuerwehr Aachen)

Unfälle und Mitglieder bei den freiwilligen Feuerwehren

Quellen: https://doi.org/10.18154/RWTH-2023-02080 / www.feuerwehrverband.de/presse/statistik