KANBrief 2/11

Von DIN A4 zur Sozialen Verantwortung - Paradigmenwechsel in der Normung?

Über 100 Interessierte folgten am 31. März 2011 der Einladung von KAN, DGUV und EBD zu einer Podiumsdiskussion in Berlin, um über aktuelle Entwicklungen in der Normung zu diskutieren. Moderiert von Gregor Doepke (DGUV) sprachen die Podiumsteilnehmer Mariana Bode (BMWi), Michael Koll (BMAS) und Dr. Albert Hövel (DIN) unter anderem über Initiativen der EU zur Änderung des Normungssystems.

Die Normung geht seit einiger Zeit über ihre traditionellen technischen Gebiete hinaus und greift neue Themen wie Dienstleistungen oder soziale Verantwortung auf. Doch wie schätzen die verschiedenen an der Normung beteiligten Akteure diese neue Situation ein?

Die Normung auf dem Weg zu neuen Themen

Die Themenerweiterung wird entgegen einem verbreiteten Irrtum nicht von „der Normung“ gesteuert, wie Dr. Hövel (DIN) deutlich machte. Die Normung nehme sich selbstverständlich gern und möglichst frühzeitig neuer, innovativer Ideen an, sie setze aber nur um, was die interessierten Kreise an sie herantragen. Für Vertreter von Wirtschaftsverbänden ist vor allem wichtig, dass das Normenwerk für die Anwender überschaubar bleibt und nicht zu einer übermäßigen Belastung der Unternehmen führt: „So viel wie nötig, so wenig wie möglich normen.“

Kontrovers diskutiert wurde der Trend hin zu mehr nicht-technischen Normen – als eine Folge des Welthandels. Denn exportiert werden oft nicht nur Produkte, sondern auch die dazugehörigen Dienstleistungen. Die Kunden des DIN verlangen daher verstärkt auch Normen zu Verfahrensmanagement, Nachhaltigkeit oder Sicherheitswirtschaft. Mariana Bode (BMWi) hob hervor, dass Normen helfen können, Transparenz, ein einheitliches Verständnis und insbesondere Sicherheit für Arbeitnehmer und Verbraucher zu schaffen. Michael Koll (BMAS) sah das differenziert: „Nicht alle Themen sind für die Normung geeignet. Normen sind zum Beispiel unverzichtbar für sichere Arbeitsmittel. Wie Beschäftigte mit ihnen umzugehen haben, muss jedoch staatlichen Regelungen vorbehalten bleiben.“

Ausgehend von schnelllebigen Branchen wie der Informationstechnik ist ein weiterer Trend zu beobachten: Im frühen Stadium von Innovationen bilden sich häufig Foren und Konsortien, die eigene Standards entwickeln und – anders als bei „richtigen“ Normen – nicht mehr den Konsens aller interessierten Kreise suchen. Vertreter von Ministerien, Normung und Wirtschaft waren sich einig, dass diesem Trend begegnet werden muss: so zum Beispiel durch die Festlegung verbindlicher Erarbeitungsregeln für nicht-konsensbasierte Spezifikationen, wenn Sicherheitsaspekte betroffen sind. Dr. Hövel (DIN) ergänzte, dass die Normungsorganisationen ihre Verfahren kontinuierlich verbessern, um die Normungsprozesse zu beschleunigen und sie für schnelllebige Branchen attraktiver zu machen.

Aus dem Publikum wurde der Wunsch nach Normen geäußert, mit denen die UN-Behindertenrechtskonvention umgesetzt wird. Sie sollten zum Beispiel die Barrierefreiheit von Arbeitsstätten oder die Bedienbarkeit von Geräten verbessern.

Veränderungen im europäischen Normungssystem

Die Europäische Kommission hat angekündigt, demnächst einen Vorschlag für eine neue Verordnung zur Europäischen Normung zu veröffentlichen. Äußerungen der Podiumsteilnehmer und des Publikums zu den bereits bekannt gewordenen möglichen Veränderungen zeigten ein großes Maß an Übereinstimmung:

• Der Vorschlag, europäische Verbände mit einem Stimmrecht auszustatten, würde das bewährte nationale Delegationsprinzip untergraben und wird deshalb kritisch betrachtet.

• Ein dezentrales Normungssystem ermöglicht auf nationaler Ebene den Zugang für alle interessierten Kreise, insbesondere für KMU, und die Konsensfindung in der Muttersprache.

• In Deutschland besteht ein gutes Zusammenspiel der interessierten Kreise mit den Normungsorganisationen; diese Erfahrungen sollten in den Beratungen von Rat und Parlament nach Europa getragen werden.

• Grundlegend ist, dass die Politik genau festlegt, in welchen Bereichen von Normung Gebrauch gemacht werden soll.

Abschließend wurde noch einmal betont, dass die Voraussetzungen für die Beteiligung auch schwächerer Interessengruppen gegeben sind. Wichtig sei, dass die vorhandenen Beteiligungsmöglichkeiten auch tatsächlich von allen Betroffenen genutzt werden.

Ulrich Bamberg