KANBrief 4/11
Der Strategieausschuss für Arbeitsschutz des französischen Normungsinstituts AFNOR (Comité stratégique sur la sécurité et santé au travail (CoS SST)) befasst sich seit einiger Zeit mit der Frage, wie die Qualität harmonisierter europäischer Normen im Zuge ihrer Überarbeitung noch weiter verbessert werden kann. Die wichtigsten Verbesserungsvorschläge, die sich aus den Überlegungen ergeben haben, werden im Folgenden erörtert.
Da harmonisierte europäische Normen über das Instrument des Neuen Konzepts eng mit der europäischen Gesetzgebung verbunden sind, wurden sie – und werden auch weiterhin – mit größter Sorgfalt erarbeitet. Die Qualität einer harmonisierten europäischen Norm hängt vor allem von der Qualität des Konsenses zwischen den Experten, von der aktiven und ausgewogenen Mitarbeit der interessierten Kreise und von der Sorgfalt bei der Texterstellung ab.
Im Bereich der Maschinen (geregelt durch die Richtlinie 2006/42/EG, deren erste Fassung von 1989 stammt) und der persönlichen Schutzausrüstung (nach Richtlinie 89/686/EWG) konnte im Verlauf von über 20 Jahren ein großer Erfahrungsschatz bei der Erarbeitung harmonisierter europäischer Normen angesammelt werden. Bis heute wurden in diesen beiden Bereichen mehrere hundert harmonisierte Normen veröffentlicht. Auf die Phase der ersten Erarbeitung folgte die der Überarbeitung. Normen – egal ob harmonisiert oder nicht – sind lebendige Dokumente, die mit der Fortentwicklung der Technik und der zunehmenden Globalisierung Schritt halten müssen.
Ein Kernaspekt der Überlegungen des Strategieausschusses war die Rückverfolgbarkeit der Erarbeitung einer harmonisierten europäischen Norm. Eine Norm ist das Ergebnis von Abwägungen und Entscheidungen, die die im Normungsgremium versammelten Experten getroffen haben. Nach der Veröffentlichung gibt es heute jedoch weder in der Norm selbst noch in anderen Unterlagen Aufzeichnungen über die Abwägungen, die getroffenen Entscheidungen oder die dafür ausschlaggebenden Gründe. Bei einer Überarbeitung der Norm, die oft von anderen Experten durchgeführt wird, können diese Informationen jedoch von entscheidender Bedeutung sein. Eine grundlegende Information betrifft die Frage, welche signifikanten Gefährdungen von der Norm behandelt oder gegebenenfalls nicht behandelt werden. Zwar werden heute in der Regel im Anwendungsbereich der Norm die nicht abgedeckten signifikanten Gefährdungen eindeutig angegeben, nicht jedoch die Gründe, weshalb sie nicht behandelt werden.
Wesentlich bei der Überarbeitung sind auch Rückmeldungen über Erfahrungen mit der Normanwendung. Derartige Informationen zu erhalten ist äußerst schwierig und erfordert Anstrengungen auf Seiten der europäischen und nationalen Normungsorganisationen, der nationalen Behörden und der Experten selbst. Außerdem müssen die Rückmeldungen verwaltet werden. Hierzu wurde vorgeschlagen, zu jeder Norm systematisch eine Akte mit folgenden Angaben anzulegen:
• Rückmeldungen aus der Praxis;
• Empfehlungen für die Fortentwicklung der Norm, die die CEN/CENELEC-Consultants bei ihrer Schlussbewertung abgegeben haben;
• Gründe, warum bestimmte signifikante Gefährdungen in der Norm nicht behandelt sind;
• für künftige Überarbeitungen wichtige Untersuchungs- und Forschungsergebnisse, die nach Veröffentlichung der Norm bekannt werden.
Klar ist, dass nur dann Normen von hoher Qualität entstehen können, wenn alle Beteiligten über fundiertes Wissen zu den Normungsverfahren und zur rechtlichen Bedeutung von Normen verfügen. Im Bereich der Maschinen wäre eine Schulung der Experten zu Themen wie dem Neuen Konzept und dem darauf aufbauenden Neuen Rechtsrahmen, den Anforderungen und Grundgedanken der Maschinenrichtlinie, der Geschichte der Normung im Bereich Maschinen, der Abfassung von Sicherheitsnormen wie im CEN-Leitfaden 414 und der EN ISO 12100 beschrieben etc. sinnvoll, um die bisherigen Errungenschaften nachhaltig zu sichern.
Die Verbesserungsvorschläge gelten gleichermaßen für Normen, die auf internationaler Ebene erarbeitet werden. Harmonisierte europäische Normen bilden immer häufiger die Grundlage für ISO- und IEC-Normen zum gleichen Thema und erfahren dabei eine Überarbeitung. Es ist im Interesse aller Beteiligten, gleich woher sie stammen und welche Interessen sie vertreten, über Grundlagendokumente von hoher Qualität und sämtliche relevanten Informationen zu verfügen, die für eine qualitativ hochwertige Normungsarbeit erforderlich sind.
Jean Jacques (im Namen des CoS SST)
jean.jacques@inrs.fr