KANBrief 4/11

Qualität von Normen dauerhaft sichern

Die dem Neuen Konzept zugrundeliegende Aufgabenteilung zwischen Gesetzgebung und Normung hat sich in vielen Produktfeldern sehr gut bewährt. Ergebnis ist ein mit hohem Engagement erarbeitetes, gemeinsames technisches Regelwerk für ganz Europa. Die zunehmende Internationalisierung, schnellere Innovationszyklen, veränderte rechtliche Anforderungen sowie eingeschränkte Ressourcen für die Mitarbeit stellen jedoch die Normung vor neue Herausforderungen.

Die aktuelle Diskussion zur Überarbeitung des europäischen Normungssystems KANBrief 3/11 hat die KAN zum Anlass genommen, einige grundlegende Überlegungen zur Qualität von Normen anzustellen. Das daraus entstandene Arbeitspapier wurde in die Beratungen des CEN-Beratungsgremiums für den Arbeitsschutz (CEN/SAB OHS) eingebracht. Es zeigt für vier Bereiche Verbesserungsvorschläge auf.

Unvollständige Normen

Damit ein Hersteller bestmöglich von der Vermutungswirkung harmonisierter Europäischer Normen profitieren kann, sollten – wie auch im Krakauer Memorandum des Arbeitsschutzexpertennetzwerkes EUROSHNET gefordert – möglichst alle relevanten Richtlinienanforderungen in den Normen konkretisiert werden. Dies ist jedoch (noch) nicht immer der Fall. Hersteller sind dadurch gezwungen, eigene Lösungen zu finden, um die Richtlinienanforderungen einzuhalten. Daraus können unterschiedliche Sicherheitsniveaus entstehen, die zu Wettbewerbsverzerrungen führen.

Die Normungsgremien sind dafür verantwortlich, dem Anwender der Norm transparent zu machen, welche relevanten Richtlinienanforderungen nicht behandelt werden. Die Einschränkungen im Anwendungsbereich und im Anhang der Norm anzugeben, sollte zur Pflicht werden. Ebenfalls sollte bei der Listung im Amtsblatt der EU auf die Unvollständigkeit hingewiesen werden. Damit würde der Auftrag an das Normungsgremium unterstrichen, konkrete Maßnahmen wie die Entwicklung neuer Lösungen anzustoßen, um bei der nächsten Revision der Norm die Lücken zu schließen.

Fehlende Aktualität von Normen

Die schnelle Anpassungsfähigkeit des Normenwerks ist eines der bedeutenden Argumente für die bewährte Aufgabenteilung nach dem Neuen Konzept. Gemäß den Normungsregeln müssen harmonisierte Normen spätestens alle fünf Jahre auf ihre Aktualität überprüft werden.

Dennoch gibt es Beispiele, in denen Normen trotz klaren Aktualisierungsbedarfs nicht oder nicht zügig genug überarbeitet werden. Für eine regelmäßige Aktualisierung von Normeninhalten unter Berücksichtigung des Stands der Technik wäre es wichtig, die Rückmeldung von Anwendern, Arbeitsschutzexperten, Marktüberwachung und Prüfstellen an die Normungsgremien zu verbessern und deren Erfahrungen systematisch zu nutzen.

Geänderte Rechtsgrundlagen

Im Bereich der Maschinensicherheit lässt sich eine Reihe von Normen finden, die zwar formal an die neue Richtlinie 2006/42/EG angepasst, aber nicht ausreichend inhaltlich überprüft wurden. Dabei wären hier aufgrund der Änderung der gesetzlichen Grundlagen Korrekturen von Normanforderungen nötig. Hilfreich wäre es, wenn künftig bei Änderung von Richtlinien angemessene Übergangsfristen vorgesehen und gegebenenfalls Mandatsgelder für eine zügige Anpassung von Normen an die neuen Anforderungen bereitgestellt würden.

Schwierige Umsetzbarkeit von Normen

Es gibt Normen, in denen konkrete Vorgaben oder Prüfanforderungen fehlen, oder die im anderen Extrem Prüfungen vorsehen, die selbst bei gutem Willen der Anwender nur mit äußerst hohem Aufwand durchzuführen sind. Beides kann dazu führen, dass diese Normen nicht oder nur unvollständig umgesetzt werden oder dass sich nicht unmittelbar überprüfen lässt, ob die Normanforderungen tatsächlich eingehalten wurden. Der übermäßigen Komplexität und Verwissenschaftlichung von Normungsinhalten könnte wirkungsvoll entgegengewirkt werden, indem beispielsweise Möglichkeiten geschaffen werden, betriebliche Praktiker verstärkt in den Normungsprozess einzubinden.

Die KAN ruft alle Beteiligten dazu auf, die Pflege des Normenwerks offensiv einzufordern und möglichst systematisch und zeitnah umzusetzen. Nur so kann verhindert werden, dass der gute Ansatz der Aufgabenteilung nach dem Neuen Konzept in Gefahr gerät. Viele bewährte Mechanismen existieren innerhalb des bestehenden Systems – sie müssen jedoch gelebt und genutzt werden.

Werner Sterk

sterk@kan.de