KANBrief 4/11

CWA, PAS & Co: Konsens zweiter Klasse reicht nicht für Arbeitsschutz

Ein neuer Trend deutet sich an: Zurzeit entstehen zahlreiche CEN Workshop Agreements (CWA) und andere Spezifikationen zu Sicherheitsthemen. In einem Positionspapier hat die KAN die Verfahren zur Erstellung von CWAs und PAS und deren besondere Problematik für den Arbeitsschutz dargestellt. Das Papier bietet eine Handlungshilfe für Arbeitsschutzexperten im Umgang mit diesen Spezifikationen.

CEN Workshop Agreements (CWAs) oder Publicly Available Specifications (PAS) (CWAs werden bei CEN erarbeitet, PAS nur bei ISO oder bei nationalen Normungsorganisationen) werden unter dem Dach von Normungsorganisationen erstellt, haben jedoch nicht den gleichen Stellenwert wie klassische Normen. Sie waren ursprünglich dazu gedacht, den ständigen Veränderungen in schnelllebigen Branchen wie dem IT-Sektor gerecht zu werden. Wesentliches Unterscheidungsmerkmal zur Normung ist, dass bei der Erarbeitung von Spezifikationen auf den Konsens aller interessierten Kreise verzichtet werden kann. Dieser Umstand führt zu einer sehr kurzen Erarbeitungszeit, die diese Dokumentenform attraktiv macht.

Kein Arbeitsschutz in CWAs

Festlegungen zum Arbeitsschutz berühren das öffentliche Interesse und dienen häufig der Umsetzung gesetzlicher Anforderungen. Es ist daher unerlässlich, dass an ihrer Erarbeitung alle interessierten Kreise mitwirken können. Die Normung mit ihren bewährten Verfahren bietet dafür den richtigen Rahmen. Bei CWAs hingegen sind wesentliche Voraussetzungen nicht gegeben:

• Eine öffentliche Umfrage ist nur verpflichtend, wenn Sicherheitsaspekte berührt sind; für Gesundheitsaspekte fehlt eine solche Vorgabe.

• Prinzipiell steht die Mitarbeit – zum Teil gegen hohe Teilnahmegebühren – jedem offen; dies bedeutet jedoch, dass Experten aus der ganzen Welt teilnehmen können und die Mitarbeit oft mit hohen Kosten für weite Reisen außerhalb Europas verbunden ist.

• Allein der Obmann entscheidet, wann ein Konsens erreicht ist. Teilnehmer, die gegen das Dokument stimmen, werden schlichtweg nicht als Autoren genannt.

Einflussnahme schwierig

Das Beispiel einiger CWAs zur biologischen Sicherheit in Labors (CWA 15793 „Laboratory biorisk management standard” und CWA 16335 „Biosafety Professional Competence”) hat gezeigt, wie schwierig die Einflussnahme auf Spezifikationen ist. Arbeitsschutzexperten haben im Workshop mitgearbeitet und versucht, die Aufnahme von Sicherheitsaspekten zu verhindern – in den meisten Fällen jedoch erfolglos.

Warum für Sicherheitsthemen zunehmend CWAs statt voll konsensbasierter Dokumente gewählt werden, darüber kann nur spekuliert werden. Teils werden sie als Sprungbrett zur Normung genutzt, wenn der direkte Weg über eine Norm keinen Erfolg verspricht. Besonders für außereuropäische Institutionen ist eine Spezifikation mit europäischem Siegel wie CWA interessant. Da CEN-Workshops jedermann offenstehen, können sie ihre Interessen und Vorgaben auf diese Weise im europäischen Markt etablieren.

Praktische Handlungshilfe

Das KAN-Positionspapier enthält eine Checkliste, die Orientierung bietet, in welcher Form der Arbeitsschutz auf ein neu angekündigtes CWA reagieren sollte. Wenn konkrete Arbeitsschutzanforderungen enthalten sind, sich Überschneidungen mit europäischen Richtlinien/nationalen Regelungen zum Arbeitsschutz ergeben oder eine Zertifizierung vorgesehen ist, wird die Mitarbeit eines Arbeitsschutzexperten angestrebt. Zumindest sollte aber eine Stellungnahme zum Arbeitsprogramm oder ggf. zum Dokument in der Umfrage abgegeben werden.

Ist das Ergebnis trotz aller Bemühungen aus Arbeitsschutzsicht nicht tragbar, sind die in der KAN vertretenen Kreise aufgerufen, dies bekannt zu machen. Eine Übernahme des CWA durch das DIN wird in diesem Fall nicht unterstützt. Bei der Überarbeitung des Dokuments soll für eine Zurückziehung plädiert und eine direkte Übernahme als Norm abgelehnt werden.

Die KAN setzt sich dafür ein, dass CWAs, die Sicherheit und Gesundheit behandeln, nach Ablauf ihrer Geltungsdauer zurückgezogen werden. Das Thema kann bei Bedarf und Eignung von der Normung aufgegriffen werden. Eine Kommentierungsphase sollte nicht nur bei Sicherheits-, sondern auch bei Gesundheitsaspekten obligatorisch sein. Nur so kann verhindert werden, dass schnell in kleiner Runde Abmachungen getroffen werden, die Auswirkungen auf ganz Europa haben. Eine Parallelwelt zur Normung würde das Vorschriften- und Regelwerk noch komplexer machen, als es ohnehin schon ist.

Katharina von Rymon Lipinski

mailto:vonrymonlipinski@kan.de