KANBrief 1/15

Normung im betrieblichen Arbeitsschutz – Neues Grundsatzpapier gibt Orientierung

Am 23. Oktober 2014 hat sich eine vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geleitete Arbeitsgruppe auf ein neues Grundsatzpapier zur Rolle der Normung im betrieblichen Arbeitsschutz verständigt (Gemeinsames Ministerialblatt 2015, S.1). Es konkretisiert die in Deutschland anzuwendenden Rahmenbedingungen, enthält Vorgaben für die Initiierung und Begleitung von Normen in diesem Bereich und gibt Hinweise für die Verwendung von Normen im Regelwerk von Staat und Unfallversicherungsträgern.

Eine dynamische wirtschaftliche Entwicklung, das technologische Innovationstempo, neue Arbeitsformen und moderne Kommunikation und Medien sind einige der Faktoren, die den Arbeitsschutz heute bestimmen. Die Anforderungen an Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit werden damit vielfältiger, zukunftsgewandter, aber auch komplexer. Zugleich nimmt die Bedeutung der europäischen und internationalen Normung für den Bereich des betrieblichen Arbeitsschutzes weiter zu.

Dies erfordert eine Neubestimmung der Zusammenarbeit zwischen den Arbeitsschutzinstitutionen und den Normungsorganisationen. Normen entfalten aufgrund ihrer großen faktischen Bedeutung und ihrer Funktion, den „Stand der Technik“ zu beschreiben, ein hohes Maß an Wirksamkeit. Normen legen heute jedoch nicht nur technische Anforderungen an Produkte fest, sondern spielen auch im klassischen betrieblichen Arbeitsschutz zunehmend eine Rolle. Im Unterschied zum staatlichen Rechtsregime und dem Vorschriftenwerk der Unfallversicherungsträger fehlt Normen im betrieblichen Arbeitsschutz allerdings eine rechtliche Bindungswirkung. Lediglich in Bezug auf technische Produktanforderungen im Binnenmarktbereich entfalten harmonisierte Normen eine Vermutungswirkung.

Diese strukturellen und funktionalen Gegebenheiten nimmt das neue Grundsatzpapier auf, das von Vertretern der obersten Arbeitsschutzbehörden der Länder, der Spitzenverbände der gesetzlichen Unfallversicherung, der Sozialpartner, des DIN/VDE, der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und der KAN-Geschäftsstelle erarbeitet wurde. Es beschreibt Voraussetzungen und Rahmenbedingungen der Normung im betrieblichen Arbeitsschutz und bestimmt ihre Reichweite und Grenzen. Insbesondere wird der Vorrang von Vorschriften und Regeln von Staat und Unfallversicherung vor Normen herausgestellt. Das Papier greift die grundlegenden Weichenstellungen des Gemeinsamen Deutschen Standpunktes (GDS) auf und entwickelt diese weiter: In Form von Leitfragen bietet es staatlichen Arbeitsschutzausschüssen und Fachbereichen der Unfallversicherungsträger, die Normen in ihrem Regelwerk nutzen möchten, konkrete Hinweise für ein einheitliches und transparentes Vorgehen. Dies kann in der Praxis zu einer stärkeren Nutzung von Normen innerhalb des Vorschriften- und Regelwerks führen. Sofern dabei die Prüfkriterien des Grundsatzpapiers beachtet werden, können Normen einen Zugewinn für Sicherheit und Gesundheitsschutz in Deutschland bedeuten.

Zugleich setzen die mit dem Grundsatzpapier im Konsens aller Akteure beschlossenen „Spielregeln“ der Normung dort Grenzen, wo sozialpolitische Entscheidungen gefordert sind. Damit ist insbesondere sichergestellt, dass im Kernbereich des betrieblichen Arbeitsschutzes, z.B. bei der Gefährdungsbeurteilung, bei der Arbeitsschutzorganisation oder der arbeitsmedizinischen Vor-sorge, für die Normung grundsätzlich weiterhin kein Raum besteht.

Für die Arbeit der Regelsetzer nützlich ist ferner die Beschreibung möglicher Nutzungsformen der Normen, die von der Quellenangabe über den Verweis bis hin zum Vollzitat reichen. Beschrieben wird auch deren jeweilige rechtliche Einordnung, insbesondere im Hinblick auf die Beachtung des Urheberrechtsschutzes der Normungsorganisationen.

Das Grundsatzpapier ist insgesamt ein Meilenstein auf dem Weg zu einem einheitlichen Vorschriften- und Regelwerk im Arbeitsschutz. Nach dem Leitlinienpapier vom 31. August 2011 (siehe auch KANBrief 1/12), das die Wirkungsfelder von staatlichen Vorschriften und Regeln von solchen der Unfallversicherungsträger abgrenzt, tritt mit dem Grundsatzpapier die noch fehlende Komponente der Normung im betrieblichen Arbeitsschutz hinzu. Beide Papiere zusammen leisten einen wichtigen Beitrag zur Umsetzung des gesetzlichen Handlungsauftrags des Arbeitsschutzgesetzes, des Siebten Buches Sozialgesetzbuch sowie der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) zur Herstellung eines einheitlichen und konsistenten Regelungssystems im Arbeitsschutz.

Achim Duve, Georg Hilpert, Michael Koll
Bundesministerium für Arbeit und Soziales