KANBrief 1/15
In jüngster Zeit ist festzustellen, dass sich die Normung zunehmend neuen Themen fernab der klassischen technischen Produkte zuwendet. Welchen Konsequenzen hat dies für den Arbeitsschutz? Sollte alles genormt werden, was normbar scheint? Daniela Tieves-Sander und Eckhard Metze leiten die Sozialpartnerbüros in der KAN-Geschäftsstelle und erläutern die Positionen der Gewerkschaften bzw. der Arbeitgeber.
Herr Metze, Sie gestalten seit über 15 Jahren die Arbeit der KAN mit. Was hat sich in dieser Zeit geändert?
Metze: Geändert hat sich ganz klar der Arbeitsstil und auch die Aufgabenstellung. In den ersten Jahren stand das langsame Herantasten an die Einflussnahme auf Normungsprozesse und einzelne Normungsprojekte im Mittelpunkt. Heute bestimmen ganz andere Schwerpunkte die Arbeit der KAN: die erfolgreiche Mitwirkung in der europäischen und internationalen Normung, aber auch die intensive Bearbeitung neuer Normungsfelder.
Welche dieser neuen Normungsfelder haben für die Arbeitgeber eine besondere Bedeutung?
Metze: Ich denke zuerst an die Normung von Arbeitsschutzmanagementsystemen (ISO 45001), da ich hier auch aktiv im internationalen Normungsprozess beteiligt bin. An sich möchten wir keine Normung auf diesem Gebiet, aber eine Mitgestaltung ist allemal besser, als am Ende vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Problematisch scheint mir auch, dass die Normung immer weiter in Bereiche vordringt, die eigentlich nichts mit der klassischen technischen Normung zu tun haben. Beispiele sind Themen wie Compliance, Korruptionsbekämpfung, Personalmanagement und Nachhaltigkeit, aber auch Anforderungen an Dienstleistungen und Qualifikationen. Aber auch auf die technische Normung kommen neue Anforderungen zu. Ein Stichwort ist „Industrie 4.0“, also die Informatisierung der klassischen Industrien. Auch die demografische Entwicklung wird von der Normung im Bereich Ergonomie begleitet werden müssen.
Wie stehen die Gewerkschaften zu diesen neuen, weichen Themen?
Tieves-Sander: Diese Entwicklungen sehen auch wir sehr kritisch. Bei den Arbeitsschutzmanagementsystemen (AMS) ist zunächst zu betonen, dass die bestehenden staatlichen Regelungen zum betrieblichen Arbeitsschutz Priorität haben. Deren Erfüllung kann durch AMS unterstützt werden. Positive Beispiele sind hier sicherlich die erfolgreichen AMS der Unfallversicherungsträger. Das zeigt aber auch, dass eine Norm nicht als Grundlage dieser Systeme benötigt wird. Mit anderen Worten: Wir fürchten, dass die Unternehmen viel Geld für Zertifikate ausgeben, das sie besser in Maßnahmen des Arbeitsschutzes investiert hätten.
Wo genau sehen Sie denn die Grenzen der Normung?
Tieves-Sander: Im technischen Bereich leistet die Normung gute Dienste. Betriebsräte und Beschäftigte müssen darauf vertrauen dürfen, dass im europäischen Binnenmarkt nur sichere Produkte angeboten werden. Die Gewerkschaften beobachten daher mit großer Sorge, wenn sich die Überarbeitung wichtiger Normen verzögert. Die Normungsinstitute sollten sich auf dieses Kerngeschäft fokussieren, statt immer neue, häufig wenig hilfreiche Normungsprodukte auf den Markt zu bringen. So ist bei weichen Themen wie der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen eine gegenseitige Begriffsverständigung über die Normung unter Umständen noch möglich. Dass aber beispielsweise die Einhaltung von Menschenrechten in einer Lieferkette oder einem Produktionsprozess zertifiziert werden können soll, ist äußert fragwürdig.
Wo steuert die Normung hin und wie lässt sich ihr Kurs beeinflussen?
Metze: Es wird für die KAN immer wichtiger, dafür zu sorgen, dass Fragestellungen, die in der Regelungshoheit der Tarifvertragsparteien liegen, aus der Normung herausgehalten werden. Themen wie die Entgeltgestaltung oder der soziale Arbeitsschutz (Im Gegensatz zum technischen Arbeitsschutz regelt der soziale Arbeitsschutz spezielle Rechte von besonders schutzbedürftigen Arbeitnehmergruppen [Jugendliche, werdende und stillende Mütter, Schwerbehinderte usw.]) haben dort nichts zu suchen. Ebenfalls sollte es Aufgabe der KAN bleiben, einer weiteren Überregulierung im Arbeitsschutz entgegenzutreten. Arbeitsschutzrelevante Normen, die durch Zertifizierung oder die Forderung nach dieser de facto verpflichtend werden, sollten verhindert werden.
Tieves-Sander: Eine Überregulierung im Arbeitsschutz ist für uns nicht erkennbar, im Gegenteil sehen wir eher Regelungslücken. Diese allerdings mit Normen zu füllen ist nicht zielführend. Das neue BMAS-Grundsatzpapier zur Rolle der Normung im betrieblichen Arbeitsschutz (siehe auch KANBrief 1/2015) weist hier in die richtige Richtung, indem es den Vorrang des staatlichen Rechts betont und den Rahmen für die Verwendung von Normen im technischen Regelwerk setzt.