KANBrief 2/15
„Was muss, das muss“ – gilt das auch für Normen? Auf dem Papier ist klar geregelt, welche Verbindlichkeit Festlegungen haben, laut denen der Normanwender etwas Bestimmtes tun „muss“, „kann“ oder „sollte“. Wie aber entscheiden Normungsgremien, welche Art der Festlegung die richtige ist? Eine sorgfältige Auswahl ist wichtig, damit nicht ungewollt Interpretationsspielraum und damit Unsicherheit bei den Normanwendern entsteht.
Die ISO/IEC-Direktiven Teil 2 (2011) legen im Anhang H für die englische und französische Sprache fest, welche Verbformen für welche Art der Festlegung in Normen gelten. Für die deutsche Sprache finden sich diese Informationen in der CEN/CENELEC-Geschäftsordnung Teil 3 (pdf) (2011). Einen Gesamtüberblick bietet die DIN 820-2 (Normungsarbeit – Teil 2: Gestaltung von Dokumenten), die die CEN/CENELEC-Geschäftsordnung in allen drei Sprachen parallel darstellt. Die Vorgaben sind nicht nur bei der Erstellung von Normen zu beachten, sondern auch bei Übersetzungen (s.a. englische und französische Tabelle).
In der Regel ist für jede Art der Festlegung nur eine Formulierung vorgesehen. Weitere, gleichbedeutende Ausdrücke sind zwar angeben, dürfen aber nur in Ausnahmefällen verwendet werden, wenn die Hauptform aus sprachlichen Gründen nicht benutzt werden kann.
Wann ist welche Verbform angebracht?
Normen werden für verschiedene Zwecke verfasst. Sie sollen beispielsweise den aktuellen Stand der Technik abbilden, Produktanforderungen aus Gesetzen konkretisieren, als Vertragsgrundlage dienen oder Kompatibilität ermöglichen. Dabei sollten sie so anwenderfreundlich wie möglich sein und zweifelsfrei klarmachen, was Normanwender tun oder lassen müssen, um Anspruch auf Konformität mit der Norm erheben zu können. Daraus ergibt sich, dass empfehlende modale Verbformen wie „sollte (nicht)“ oder „es ist (nicht) empfehlenswert“ in Normen fehl am Platze sind. Diese sollten nur in informativen Dokumentformen wie Leitfäden oder Technischen Berichten (Technical Reports) vorkommen.
Auch informative Anhänge, die empfehlende „Festlegungen“ enthalten, sind in Normen streng genommen nicht benutzerfreundlich: Anwender können sie getrost ignorieren und wären dann immer noch normkonform. Richter und Vertragspartner könnten sich im Schadensfall aber trotzdem auf den Standpunkt stellen, dass diese Inhalte, sofern sie für den Fall relevant sind, bekannt waren und zu berücksichtigen gewesen wären. Normenausschüsse sollten sich daher immer klar entscheiden, ob eine Anforderung erforderlich ist oder nicht. Wenn nicht, kann weniger sehr viel mehr sein.
Sonja Miesner Corrado Mattiuzzo
miesner@kan.de mattiuzzo@kan.de
Festlegung | Bedeutung | Verbform | Alternative in Ausnahmefällen |
Anforderung | Einhaltung verbindlich, keine Abweichung | muss | ist zu |
darf nicht | es ist nicht zulässig/erlaubt/gestattet | ||
Empfehlung | Zuraten / Abraten für eine von verschiedenen Möglichkeiten | sollte | es wird empfohlen, dass … |
sollte nicht | wird nicht empfohlen | ||
Zulässigkeit | Erlaubnis für eine bestimmte Handlungsweise | darf | ist zugelassen |
braucht nicht | ist nicht erforderlich | ||
Möglichkeit /Vermögen | physische, | kann | vermag |
kann nicht | vermag nicht |