KANBrief 2/15

Strukturierter Ansatz für mehr Barrierefreiheit in Normen

Schon seit 2001 fordert ISO im ISO-Guide 71 (Guide for addressing accessibility in standards), Aspekte der Barrierefreiheit in Normen zu berücksichtigen. Hilfestellung bietet der ISO/TR 22411, der ergonomische Daten und Leitlinien für die Anwendung des ISO-Guides liefert. Der 2008 veröffentlichte Technische Bericht liegt in Form der DIN SPEC 33421 (Ergonomische Daten und Leitlinien für die Anwendung des ISO/IEC Guide 71 für Produkte und Dienstleistungen zur Berücksichtigung der Belange älterer und behinderter Menschen) nun erstmals auch in deutscher Sprache vor. 

In der technisch geprägten Welt ist es nicht immer leicht, die Ziele der UN-Behindertenrechtskonvention zur Berück-sichtigung der Belange älterer und behinderter Menschen in die Praxis umsetzen. Zum einen ist nicht immer klar, welche Fähigkeiten diese Menschen zur Bewältigung von Aufgaben einbringen können. Eine weitere Heraus-forderung besteht darin, die spezifischen Bedarfe der Menschen mit Behinderungen in der Sprache der Technik zu beschreiben – man denke zum Beispiel an den Platzbedarf für einen Rollstuhl bei der Gebäudeplanung.

Generalistischer Ansatz notwendig

So wie sämtliche Produktnormen Körpermaße und Körperkräfte des Menschen berücksichtigen müssen, erfordert auch das komplexe Themenfeld der Inklusion einen übergreifenden Ansatz mit gleichen Anforderungen für gleiche Sachverhalte. Diese Fragestellung in jedem einzelnen technischen Feld für spezielle Anwendungen zu klären, wäre angesichts der riesigen Zahl von produktspezifischen Normungsgremien und der wenigen wirklichen Experten für Barrierefreiheit gar nicht zu bewältigen.

Bisher beschränkten sich Papiere in diesen Themenfeldern auf politische Absichten, deren Übersetzung in maßliche Anforderungen und Mindestbedingungen selbst den Experten in den produkt- und dienstleistungsnahen Normungsgremien große Probleme bereitete. Diese Lücke im Umsetzungswissen schließt zu einem großen Teil der – nun auch in deutscher Sprache als DIN SPEC 33421 veröffentlichte – Technische Bericht ISO/TR 22411:2008.

ISO/TR 22411 macht Allgemeines konkret

Der Technische Bericht konkretisiert den ISO/IEC Guide 71 und liefert unmittelbar nutzbare ergonomische Daten und Kenntnisse über sensorische, körperliche und kognitive menschliche Fähigkeiten. Zudem enthält er Hinweise zur Berücksichtigung von Allergien. Er stellt einen Leitfaden zur barrierefreien Gestaltung von Produkten, Dienstleistungen und Umgebungen dar, die im täglichen Leben auf dem Konsumgütermarkt und am Arbeitsplatz anzutreffen sind. So wird z. B. die Betätigungskraft für eine barrierefreie Türklinke angegeben, die eine motorisch eingeschränkte Person noch zur Auslösung der Türöffnungsfunktion einsetzen kann. Einige der angeführten Maßnahmen unterstützen zudem die Interoperabilität von Produkten mit Unterstützungstechnologien und Hilfsmitteln.

Der Bericht entspricht in seiner Struktur dem ISO/IEC Guide 71 und liefert zu jedem Abschnitt eine Erläuterung der Konzepte sowie konkrete Maße, Größen, Kräfte, Winkel etc. Diese Daten sind wie die Perzentile der Körpermaßnormen auf jedwede technische Fragestellung anwendbar: sei es in Normen für öffentlich zugängliche Räume, für die Gestaltung von Arbeitsplätzen – zum Beispiel im Büro – oder aber in Maschinennormen.

In erster Linie richtet sich der Technische Bericht an Normungsgremien, um ihnen den Einbezug von Barrierefreiheit in Normen und Spezifikationen näher zu bringen. Er ist aber auch für Hersteller, Entwickler oder Dienstleister bei der Gestaltung von Produkten und Systemen hilfreich.

Komplexe Erarbeitung

In dem komplexen Prozess der Erarbeitung dieses Technischen Berichts konnte nicht immer auf gesicherte anerkannte Erkenntnisse zurückgegriffen werden. Die wiedergegebenen Orientierungsdaten sind in langwierigen Aushandlungsprozessen der wenigen internationalen Experten auf dem Gebiet entstanden.

Der Prozess ist auch noch nicht abgeschlossen. Mit Nachdruck wurde gleich nach der Veröffentlichung der ersten Fassung des ISO/TR mit der Überarbeitung begonnen. Ziel ist eine deutliche Erweiterung und praxistauglichere Systematisierung des Wissens. Es ist also mit einer dynamischen Fortschreibung des vorgelegten Standes des Wissens zu rechnen. Alle Experten, die hierzu etwas beitragen können, sind eingeladen mit den zuständigen Normungsgremien in Kontakt zu treten. Nur so können sie das erforderliche Umsetzungswissen möglichst leicht verständlich in die gesamte Normungsarbeit – möglichst alle Technikfelder betreffend – über die Ergonomienormung einspeisen.

Bernhard Kempen                          Norbert Breutmann

bernhard.kempen@din.de           n.breutmann@arbeitgeber.de