KANBrief 2/15

Wie können europäische Normen den Kontakt zwischen Mensch und Roboter berücksichtigen?

Neben bewegungsunterstützenden Robotern, bei denen der Kontakt zwischen Mensch und Maschine dem bestimmungsgemäßen Zweck entspricht, gibt es heute auch Industrieroboter, die mit dem Bedienpersonal im gleichen Arbeitsbereich zusammenarbeiten. Hier stellt sich die Frage nach unbeabsichtigten Kontakten und den daraus entstehenden Risiken. Das INRS erörtert, wie diese neuen Einsatzbereiche mit der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG in Einklang gebracht werden können.

Die Entwicklung der Robotertechnologie und ihrer industriellen Einsatzbereiche wirft die Frage auf, wie neue Formen der Zusammenarbeit, bei denen in der normalen Produktion Bedienpersonal und Roboter gemeinsam in einem Arbeitsbereich tätig sein dürfen, sicher gestaltet werden können. Das Risiko eines ungewollten Kontaktes zwischen Mensch und Roboter besteht sowohl in der Phase der Produktion als auch beim Einrichten der Maschine, der Wartung, der Reinigung etc. Wie kann hier die Sicherheit und Gesundheit des Bedienpersonals sichergestellt werden?

Klare Vorgaben in der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG

Die Maschinenrichtlinie definiert eine „Gefährdung“ als eine potenzielle Quelle von Verletzungen oder Gesundheitsschäden. Gesundheit wird hier im weitesten Sinne aufgefasst und schließt sowohl körperliche (äußere oder innere Verletzungen) als auch psychische Einwirkungen ein.

Eindeutige Normen und Präventionsgrundsätze

Was von Maschinen ausgehende Gefahren angeht, machen die Norm EN ISO 12100 „Sicherheit von Maschinen – Allgemeine Gestaltungsleitsätze – Risikobeurteilung und Risikominderung“ und andere Dokumente (Z.B. die Norm EN 614-1, Sicherheit von Maschinen – Ergonomische Gestaltungsgrundsätze – Teil 1: Begriffe und allgemeine Leitsätze) sehr klare Präventionsvorgaben. Zur Risikominderung durch Präventionsmaßnahmen an der Maschine selbst gehört auch die Beachtung ergonomischer Grundsätze. Diese haben zum Ziel, Arbeitsmittel an die Bedürfnisse, Fähigkeiten und Grenzen des Menschen anzupassen, nicht umgekehrt. Die Begrenzung der Berührungskräfte ist als Maßnahme heute nur zur Vermeidung von Restrisiken vorgesehen, die von kraftbetriebenen trennenden Schutzeinrichtungen (EN ISO 14120, Sicherheit von Maschinen – Trennende Schutzeinrichtungen – Allgemeine Anforderungen an Gestaltung und Bau von feststehenden und beweglichen trennenden Schutzeinrichtungen) ausgehen.

Eine eingehende Betrachtung der genannten Grundsätze macht ohne jeden Zweifel deutlich, dass die Begrenzung der Kräfte beim ungewollten Kontakt zwischen Mensch und Roboter nicht die einzige Schutzmaßnahme sein kann. Wie die verschiedenen angeführten Dokumente darlegen, darf man sich nicht auf die Vermeidung körperlicher Gefährdungen beschränken, sondern muss den Blick vielmehr auch auf psychosoziale Risiken richten. Wie lässt sich eine psychische Belastung beurteilen, die durch ein Ausweichen oder die Angst vor dem Zusammenstoß mit dem Roboter entsteht, und wie geht man mit dem Stressrisiko um, das wiederholte Berührungen hervorrufen können? Angesichts der großen Vielfalt möglicher Arbeitsszenarien, der allseits bekannten Spannbreite unsachgemäßer Maschinennutzung und der dem Menschen eigenen, aber unterschiedlich ausgeprägten Fähigkeit, mit physischen und/oder psychosozialen Beanspruchungen umzugehen, verbietet sich der Gedanke, dass ein unfreiwilliger Kontakt bei der Zusammenarbeit von Mensch und Roboter „unter bestimmten Bedingungen zumutbar“ sein kann.

Betriebsarten in der ISO TS 15066

(ISO/TS 15066 Robots and robotic devices – Safety requirements for industrial robots – Collaborative operation (Arbeitsdokument der ISO/TC 184/SC 2/WG 3))

Wenn Roboter und Mensch sich den Arbeitsbereich teilen, müssen Schutzvorkehrungen getroffen werden, um Berührungen mit dem Bedienpersonal zu vermeiden. So schreiben es auch die drei ersten Betriebsarten vor, die in dem vorläufigen Dokument ISO DTS 15066 beschrieben sind. Die Betriebsarten 1 „Sicherheitsbewerteter überwachter Halt“, 2 „Handführung“ und 3 „Geschwindigkeits- und Abstandsüberwachung“ legen den Schwerpunkt auf die Vermeidung von Berührungen und entsprechen den Anforderungen der europäischen Normen und der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG. Die Betriebsart 4 „Leistungs- und Kraftbegrenzung“ hingegen lässt Berührungen zu und kann lediglich als Ergänzung zu einer der ersten drei Betriebsarten gesehen werden. Diese Betriebsart 4 wird somit nur anzuwenden sein, um ein sehr selten auftretendes Restrisiko abzudecken.

Indem die Technik der kollaborierenden Robotik hilft, bestimmte schwere oder komplexe Aufgaben zu erledigen, bietet sie die Chance, Industrie in Europa zu erhalten. Damit sie von allen Beteiligten gut angenommen wird, ist es entscheidend, dass alle Arbeitsschutzaspekte bereits in der Entwicklungsphase sorgfältig berücksichtigt werden.

adel.sghaier@inrs.fr
agnes.aublet-cuvelier@inrs.fr
jacques.chatillon@inrs.fr