KANBrief 3/12

Ein Arbeitsunfall verändert die Produktnorm für Lackierpistolen

Ein für die Branche typischer Unfall lenkte im Jahr 2007 die Aufmerksamkeit der Arbeitsschützer auf die Produktnorm für Spritzpistolen EN 1953: Ein Lackierer hatte sich mit einem so genannten Airless-Gerät Material in seine Hand injiziert. Immer wieder kommt es vor allem bei der Reinigung, Wartung und Instandsetzung zu solchen Unfällen. Offen war zunächst, ob ein Produktmangel oder unzureichende Schutzmaßnahmen in der Norm den Unfall begünstigten.

Die üblichen Betriebsdrücke liegen beim Airless-Verfahren bei 50 bis 500 bar, seltener bei bis zu 1000 bar. Die Zerstäubung erfolgt ohne die sonst übliche Luftunterstützung ausschließlich durch den rapiden Druckabfall an der Düsenöffnung. Zu dem Unfall kam es, als der Lackierer damit begann, die Düse der Pistole zu wechseln. Diese war über einen Schlauch an die Materialversorgung angeschlossen. Während des Düsenwechsels betätigte der Arbeiter mit einer Hand unbeabsichtigt den Auslösehebel und schoss sich das Lackmaterial in den Ballen der anderen Hand. Die Folgen solcher Unfälle sind schwerwiegend, weil sich Wunden durch die Chemie der Lacke schnell infizieren können.

Die Suche nach Unfallursachen… 

Die Betriebsanleitung fordert eindeutig, dass Pistolen während Reinigungs- und Wartungsarbeiten drucklos sein müssen. Am unfallverursachenden Gerät fehlte allerdings auch der so genannte Schmetterlingsbügel, eine Abschirmung, die genau diese Unfälle verhindern soll. Aus Sicht des ehemaligen Fachausschusses „Metall und Oberflächenbehandlung“ der BGHM war die Missachtung dieser Anforderungen letztlich unfallauslösend – beide sind in der bestehenden Norm jedoch enthalten.

Demgegenüber kam die Landesanstalt für Arbeitsschutz Nordrhein-Westfalen zunächst zu dem Schluss, dass die Unfallursachen in unzureichenden Schutzmaßnahmen der EN 1953 liegen: Eine Pistole mit solch hohem Gefährdungspotential müsse sich nach dem Abschalten automatisch verriegeln. Folgerichtig wurde ein Formeller Einwand gegen die Produktnorm vorgeschlagen. Tatsächlich erfolgt der Schutz vor ungewollter Betätigung bei nahezu allen Airless-Geräten (normkonform) mit einer manuell zu betätigenden Verriegelungseinrichtung. Diese wird in Spritzpausen oder zu Reinigungs- und Wartungsarbeiten verwendet. Eine automatische Verriegelung nach Loslassen des Betätigungsbügels – eigentlich eine plausible Schutzmaßnahme – wird in der Norm nicht gefordert. Warum?

 …und den angemessenen Schutzmaßnahmen 

Seit Bestehen des Regelwerkes über Hochdruck- Lackierpistolen und andere Flüssigkeitsstrahler wird über das Für und Wider automatischer Verriegelungen diskutiert. Ein Hauptargument dagegen: Fast jede Lackierarbeit wird diskontinuierlich ausgeführt, die Pistole muss permanent an- und abgeschaltet werden. Die Betriebsdauer beträgt jeweils nur Sekunden oder Bruchteile von Sekunden. Eine automatische Verriegelung würde eine erhebliche Mehrbelastung des Lackierers bedeuten, da er zu jedem Spritzbeginn erneut entriegeln müsste. Vorhersehbar wären dann entsprechende Manipulationen mit der Folge, dass die veränderten Geräte eine noch höhere Gefährdung darstellen.

KAN moderiert Expertenrunde

Um die unterschiedlichen Auffassungen zu bündeln und zu einer abgestimmten Fachmeinung zu kommen, schaltete das Bundesministerium für Arbeit und Soziales schließlich die KAN ein. Die wesentlichen Ergebnisse der einberufenen Expertenrunde: Unfallursachen waren das Fehlen der Abschirmung und der Düsenwechsel unter Druck. Dennoch wurde die EN 1953 in einigen Belangen als verbesserungswürdig eingestuft, u. a.: 

• Ohne die Abschirmung darf das Gerät nicht mehr funktionsfähig sein. 

• Für die Abschirmung müssen je nach Materialdruck unterschiedliche Größen vorgegeben sein. 

• Die Anforderungen an die Verriegelungseinrichtung müssen konkreter gefasst werden. 

Die „neue“ EN 1953 

Das Ergebnis der Expertenrunde war Grundlage und Ausgangspunkt für die ohnehin anstehende Revision der bereits im Jahr 1998 veröffentlichten EN 1953. Die zuständige Working Group 2 des CEN/TC 271 „Oberflächenbehandlungsgeräte – Sicherheit“ hat im Mai 2012 den Entwurf zur öffentlichen Umfrage eingereicht. Inhaltlich wurde eine Vielzahl weiterer Anforderungen neu formuliert bzw. konkretisiert, so dass sich die Produkte aller Hersteller sicherheitstechnisch verbessern werden. Mit der Veröffentlichung der neuen EN 1953 ist bis Jahresende 2012 zu rechnen.

Roland Knopp 

Roland.Knopp@bghm.de