KANBrief 4/23
Im Jahr 2014 haben die französischen Arbeitsschutzinstitute EUROGIP und INRS sowie die KAN die „Gemeinsame Erklärung zur Normungspolitik im Bereich des Arbeitsschutzes“ verabschiedet. Sie befasste sich mit damals neu aufkommenden Themen wie der Rolle neuer Normungsdokumente, der Normung im Bereich der Dienstleistungen oder der Normung von Managementsystemen. Die Erklärung wurde nun aktualisiert.
Das 2014 als „Bonner Erklärung“ gemeinsam verabschiedete Positionspapier behandelt aktuelle Themen des Arbeitsschutzes in der europäischen Normung. Im Jahr 2016 schloss sich auch das polnische Arbeitsschutzinstitut CIOP-PIB der Erklärung an. In den Jahren seit der Verabschiedung haben sich viele neue Themen in der Normung ergeben. Die unterzeichnenden Institutionen haben daher einen Überarbeitungsprozess eingeläutet, um das Dokument auf einen aktuellen Stand zu bringen und um zusätzliche Aspekte, welche die Normungsarbeit in der Gegenwart und in der Zukunft maßgeblich beeinflussen, zu ergänzen.
Ziel war es außerdem, weitere europäische Arbeitsschutzinstitutionen für die Erklärung zu gewinnen. Über das Netzwerk EUROSHNET wurden weitere Institutionen zur Mitarbeit eingeladen. Die ersten Entwürfe stießen auf positive Resonanz, so dass sich auch das spanische INSST und das finnische FIOH an der Aktualisierung beteiligten.
Die Position zu einigen Themen, die bereits in der ersten Erklärung enthalten waren, wurde an die Entwicklungen der letzten Jahre angepasst, so z.B. zur Produktnormung, zu normähnlichen Dokumenten und zur Normung im Bereich des betrieblichen Arbeitsschutzes.
Zur Produktnormung fordern die unterzeichnenden Institutionen, dass bei der Übernahme von internationalen ISO- und IEC-Normen als harmonisierte Normen das europäische Schutzniveau gewahrt wird. Das System der HAS-Consultants, die harmonisierte Normen auf ihre Übereinstimmung mit den EU-Gesetzen überprüfen, wird grundsätzlich für gut befunden; die harmonisierten Normen müssten jedoch nach der Prüfung schneller im Amtsblatt der Europäischen Union gelistet werden.
Normähnliche Dokumente wie CWA, IWA und PAS sind nicht geeignet, um arbeitsschutzrelevante Inhalte zu regeln. Zur Unterscheidung von vollwertigen Normen sollten diese Formate außerdem klar gekennzeichnet werden. Für zeitkritische Projekte können Technical Specifications (TS) genutzt werde, für Projekte mit rein informativen Arbeitsschutzinhalten bieten sich Technical Reports (TR) an.
Die Gemeinsame Erklärung legt Wert auf die Unterscheidung der Rolle von Normen bei der Produktsicherheit auf der einen und im betrieblichen Arbeitsschutz auf der anderen Seite. Bezüglich des betrieblichen Arbeitsschutzes werden die Normungsorganisationen aufgefordert, neue Normungsprojekte vorab zu bewerten und Normen in diesem Bereich nur dann zu erarbeiten, wenn sie den Arbeitsschutz auch tatsächlich verbessern und nicht mit nationalen Vorschriften in Konflikt stehen.
Einige Aspekte wurden ganz neu in die Erklärung aufgenommen. Eine Folge der Digitalisierung im Normungswesen ist, dass inzwischen viele Sitzungen in virtueller Form abgehalten werden, was die Vorteile einer höheren Beteiligung und eines geringeren Reiseaufwands bringt. In der Erklärung wird angemerkt, dass der persönliche Kontakt in Normungsgremien nach wie vor wichtig für die Konsensbildung ist und deshalb auf Präsenzsitzungen nicht in Gänze verzichtet werden sollte.
Eine Herausforderung für den Arbeitsschutz stellt auch die Normung im Bereich der Künstlichen Intelligenz dar. Für die erfolgreiche Standardisierung von KI-Technologien ist es von entscheidender Bedeutung, wie Arbeitsschutzfragen in den Normen adressiert werden. Hier ist es wichtig, dass Arbeitsschutzfachleute stark in die Normungsprozesse eingebunden sind. Zudem müssen die KI-Normen mit den in der Produkt- und Arbeitssicherheit angewandten Methoden der Risikobewertung kompatibel sein.
Die politische Bedeutung der Normung wird durch Initiativen der EU-Kommission wie die 2022 veröffentlichten Normungsstrategie deutlich. Die Gemeinsame Erklärung hält fest, dass die Normungsarbeit weiterhin konsensbasiert bleiben und demokratischen Prinzipien folgen muss. Wichtig ist ebenso, dass alle am Arbeitsschutz interessierten Kreise ausreichend an den Normungsprozessen beteiligt werden.
Die Gemeinsame Erklärung (pdf) wurde im Dezember 2023 veröffentlicht.
Freeric Meier
meier@kan.de