KANBrief 4/23

Die neue Produktsicherheitsverordnung

Ab dem 13. Dezember 2024 ersetzt die Produktsicherheitsverordnung (EU) 2023/988 vom 10. Mai 2023 die bislang bestehende Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG. Als Verordnung gilt sie unmittelbar in allen Mitgliedstaaten, ohne dass sie in nationales Recht umgesetzt werden muss.

Die Produktsicherheitsverordnung (ProdSVO) fußt auf dem Neuen Rechtsrahmen (Bestehend aus: VO (EG) Nr. 765/2008, Beschluss Nr. 768/2008 und VO (EU) 2019/1020), der die Marktüberwachung, Akkreditierung, Konformitätsbewertung und CE-Kennzeichnung für Produkte vereinheitlicht. Der verfügende Teil ist im Hinblick auf Begriffsbestimmungen, Verfahrensweisen und Pflichtenkataloge deutlich gewachsen. Dennoch bleibt das europäische Produktsicherheitsrecht in seinem Kern unverändert.

Anwendungsbereich, Begriffsbestimmungen und allgemeines Sicherheitsgebot

Auch wenn Artikel 2 ProdSVO es auf den ersten Blick anders erscheinen lässt, hat sich der Anwendungsbereich nicht geändert. Nach wie vor ist erklärtes Ziel, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten und den Binnenmarkt ohne Grenzen zu verwirklichen. Erstmals aufgenommen wurden jedoch Definitionen von Begriffen wie Risiko, Einführer und Fulfilment-Dienstleister, die im europäischen Produktrecht seit Längerem verankert sind. Auch die Definitionen verschiedener Normungsbegriffe wie europäische Norm und europäische Normungsorganisation wurden aufgenommen. Sie verweisen auf die Definitionen der europäischen Normungsverordnung und schaffen damit Klarheit bei der Anwendung. Anders als bisher sind nun explizit alle Wirtschaftsakteure verpflichtet, ausschließlich sichere Produkte in Verkehr zu bringen oder auf dem Markt bereitzustellen. Produkt ist unverändert jeder Gegenstand, der für Verbraucher bestimmt ist oder unter vernünftigerweise vorhersehbaren Bedingungen von diesen benutzt wird.

Sicherheitsbewertung von Produkten

Das Verfahren der Sicherheitsbewertung hat sich zwar nicht wesentlich geändert. Die neuen Artikel 6 bis 8 ProdSVO regeln sie jedoch sehr viel detaillierter. Maßgeblich ist zunächst die Konformitätsvermutung des Artikel 7 Abs. 1. Demnach gilt ein Produkt als sicher, wenn es den anwendbaren europäischen Normen entspricht, deren Fundstellen im Amtsblatt veröffentlicht worden sind – oder, wenn solche nicht bestehen, nationalen gesetzlichen Anforderungen, sofern diese nicht im Widerspruch zum europäischen Recht stehen. Aus Gründen der Harmonisierung wird die Europäische Kommission ermächtigt, mittels Durchführungsrechtsakten zu bestimmen, welche spezifischen Sicherheitsanforderungen durch europäische Normen geregelt werden sollen.

Darüber hinaus listet Artikel 6 eine Vielzahl von Aspekten auf, die in das Bewertungsverfahren einzubeziehen sind. Bedeutsam sind etwa Cybersicherheitsmerkmale, über die ein Produkt verfügen muss, um es vor äußeren Einflüssen zu schützen. Hinzu kommen sich entwickelnde, lernende und prädiktive Funktionen des Produkts, womit Künstliche Intelligenz gemeint ist. Schließlich können, wenn die Konformitätsvermutung nicht greift, gemäß Artikel 8 weiterhin auch untergesetzliche Normen und Standards berücksichtigt werden.

Pflichten der Wirtschaftsakteure

Bereits durch seinen Umfang lässt Kapitel III ProdSVO erkennen, dass dem europäischen Gesetzgeber an einer abschließenden Regelung gelegen war. Die produktsicherheitsrechtlichen Pflichten orientieren sich wie bislang an der Nähe, die ein Wirtschaftsakteur zu dem Produkt aufweist. Infolgedessen ist zunächst der Hersteller eines Produkts Adressat der Pflichten. Als Hersteller gilt aber auch derjenige, der ein Produkt unter seinem Namen oder seiner Handelsmarke vertreibt. Erstmals kodifiziert wurde nun ausdrücklich, dass auch derjenige als Hersteller gilt, der eine wesentliche Änderung an einem Produkt vornimmt; gleichzeitig ist die Änderung als solche definiert worden.

Geregelt ist auch die Figur des Bevollmächtigten, den man bereits aus der Marktüberwachungsverordnung kennt; seine Rolle wird aber durch zusätzliche Pflichten wie die Prüfung der technischen Unterlagen modifiziert. Der Hersteller muss den zuständigen Behörden Unfälle, die durch eines seiner Produkte verursacht wurden, mitteilen. Einführer und Händler müssen solche Erkenntnisse an den Hersteller rückmelden.

Alle Wirtschaftsakteure müssen interne Verfahren etablieren, die die Gewährleistung der sie betreffenden Pflichten sicherstellen (Artikel 14). Für bestimmte Produkte und Produktkategorien kann die Kommission ein Rückverfolgbarkeitssystem einrichten, in das Daten einzustellen sind, „anhand derer das Produkt, seine Komponenten oder die an seiner Lieferkette beteiligten Wirtschaftsakteure identifiziert werden können“. Diese internen Konformitätsbewertungspflichten bestanden zwar auch vorher, waren aber nicht derart im Vordergrund der marktaufsichtlichen Überwachung und verstärken den Eindruck, dass der Europäische Gesetzgeber vermehrt Systeme im Blick hat und nicht allein rechtskonforme Produkte.

Fernabsatzhandel, Online-Marktplätze

Wer ein Produkt im Fernabsatz anbietet, muss Kontaktmöglichkeiten des Herstellers oder Produktverantwortlichen, eine Abbildung des Produkts und alle erforderlichen Warnhinweise und Sicherheitsinformationen zur Verfügung stellen. In zwölf Absätzen ausführlich geregelt sind die neuartigen Pflichten von Anbietern von Online-Marktplätzen gemäß Artikel 22 ProdSVO. Dazu gehört etwa die Einrichtung je einer Kontaktstelle für Marktüberwachungsbehörden und Verbraucher, Regelungen zu behördlichen Anordnungen, Produktrückrufen und Kooperationspflichten.

Marktüberwachung

Die Marktüberwachung richtet sich nach VO (EU) 2019/1020, die in Teilen für anwendbar erklärt wird. Über das Schnellwarnsystem Safety Gate (ehemals RAPEX) melden weiterhin die Mitgliedstaaten unsichere Produkte. Daneben wird das Safety-Business-Gateway eingerichtet, das für die einfache Kommunikation zwischen Wirtschaftsakteuren und Online-Marktplatz-Betreibern einerseits und den Marktüberwachungsbehörden und Verbrauchern andererseits konzipiert ist.

Schlussbemerkungen

Die europäische Zusammenarbeit zwischen Marktüberwachungsbehörden untereinander und mit der Kommission wird intensiviert. Zur behördlichen Kommunikation und Koordination wird ein Netzwerk für Verbrauchersicherheit errichtet. Zudem sind koordinierte Kontrollmaßnahmen zu bestimmten Produkten oder Produktkategorien vorgesehen. Auch die Kommission kann – auf eigenen Anlass oder auf Initiative eines Mitgliedstaates hin – bei Risiken für die Gesundheit und Sicherheit von Verbrauchern, die auf ein Produkt zurückgehen, in Form von Durchführungsrechtsakten Maßnahmen einschließlich Verboten des Inverkehrbringens ergreifen.

Philipp Reusch
Rechtsanwalt; Partner und Gründer von reuschlaw

p.reusch@reuschlaw.de