KANBrief 4/21

Neue Strategien für neue Herausforderungen

Seit 2014 ist Dr. Dirk Watermann Leiter der KAN-Geschäftsstelle und Geschäftsführer der KAN. Vor seinem Eintritt in den Ruhestand Ende 2021 gibt er einen Einblick in die aktuellen und künftigen Handlungsfelder der KAN.

Nach dem ersten Jahr bei der KAN berichteten Sie in einem KANBrief-Interview, dass die vorangegangenen zwölf Monate „interessant, aufregend und herausfordernd“ gewesen seien. Wie ist heute Ihr Fazit nach fast acht Jahren?

Die Worte von damals kann ich nur unterstreichen und würde ergänzen: überaus erfolgreich. Es gab keinen Tag, an dem Langeweile geschweige denn so etwas wie Routine aufgekommen wäre. Das ist sicher einerseits den vielen neuen Themen, den von der KAN beschlossenen Entwicklungszielen für die zukünftige Ausrichtung der KAN und den neuen Beteiligungs- und Informationsformaten geschuldet, aber auch meinem eigenen Anspruch, die KAN-Geschäftsstelle fit für die nächsten Jahre zu machen.

Das klingt ambitioniert. Welche Entwicklungen haben Sie veranlasst, Veränderungen für eine zukunftssichere Neuausrichtung der KAN anzustoßen?

Die KAN agiert in einem sich immer stärker verändernden Umfeld: Die Normung wird immer internationaler und die globalen Entwicklungen bestimmen zunehmend die Debatten. Aufstrebende Entwicklungs- und Schwellenländer spielen hierbei eine besondere Rolle. Ich denke, wir haben das am Beispiel China im KANBrief 2/2021 gut dargestellt.

Zudem beschränkt sich das Themenfeld schon lange nicht mehr nur auf Maschinen und sonstige Produkte, sondern greift immer mehr in den betrieblichen Arbeitsschutz, die Ausgestaltung und Organisation von Dienstleistungen und Unternehmen ein, bis hin zum Eingriff in die Regelungshoheit der Nationalstaaten.

Dazu kommt, dass die EU-Politik die Normung für das Feld der grenzüberschreitenden Dienstleistungen entdeckt hat. Europaweit wird angestrebt, dass von der Wartung im industriellen Umfeld bis zu den Kosmetikdienstleistungen im Beauty-Studio um die Ecke die Dienstleister den Kunden die gleiche Qualität liefern. Erfahrungsgemäß machen die Normen aber auch nicht vor Vorgaben für sicheres Arbeiten, den Umgang und die Lagerung von Gefahrstoffen, den gesundheitlichen und hygienischen Voraussetzungen, der Benutzung von persönlicher Schutzausrüstung und Erste-Hilfe-Maßnahmen halt.

Digitalisierung ist ja im Moment das Hype-Wort. Ist das auch ein Thema für die KAN?

Auf jeden Fall, die Digitalisierung ist in der Normung inzwischen eine treibende Entwicklung. Und damit meine ich nicht die Umwandlung von papierbasierten Normen in PDFs. Nein, wir reden über maschinenlesbare Normen, deren Inhalte am besten noch via WLAN während des laufenden Betriebes in produzierende Anlagen, Maschinen und Geräte übertragen werden.

Thematisch war also noch nie mehr Bewegung im Umfeld der KAN. Sind denn die von der KAN verabschiedeten Entwicklungsziele, die Sie angesprochen haben, die richtige Antwort auf die Herausforderungen?

Die KAN hat ein großes Potenzial als Forum, das sie in den letzten Jahren stetig ausbaut, verstärkt und überaus erfolgreich nutzt. Ihr kommt eine Mittlerfunktion zwischen den betroffenen Kreisen zu – und dies sind eben nicht nur die Arbeitsschutzkreise, sondern auch die Forschung, die Wissenschaft, Verbraucher, Planer, Konstrukteure, Mediziner, Naturwissenschaftler, Juristen, IT-Fachleute, Ethiker und, und, und. Aber auch zwischen den verschiedenen Akteuren im Bereich der untergesetzlichen Regelwerke besteht Bedarf an geeigneten Foren zum Informationsaustausch und zum Ausloten von gemeinsamen Positionen, und das wird bei den neuen Themen immer komplexer. Wir sind dabei, unsere Expertenbasis insbesondere bei den neuen Themen stärker auszubauen und nach Bedarf zusammenbringen.

Wo auf jeden Fall noch Handlungsbedarf besteht, ist die stärkere Einbindung der Anwender. Dies läuft bereits, aber muss auf jeden Fall z.B. über Workshops, aber auch den engeren Kontakt zu Industrie-, Handels- und Handwerkskammern und Interessenverbänden weiter ausgebaut und durch Veröffentlichungen in den klassischen, aber insbesondere auch in den sozialen Medien flankiert werden.

Mit welchen konkreten Maßnahmen haben Sie an dieser Thematik angesetzt?

Zum Beispiel mit einem professionellen Wissensmanagement: Wir müssen sichtbar machen, was wir wissen und überlegen, wer was in welcher Tiefe in welcher Sprache wissen will, in welcher Form wir Wissen zur Verfügung stellen und wie wir Wissen auf dem aktuellen Stand halten können. Wir müssen sehr deutlich und klar kommunizieren, was gerade in der Normung läuft, was auf Branchen, Unternehmen, aber auch den Einzelnen zukommt, welche Auswirkungen diese Festlegungen haben können und wie ich mich als Betroffener, Fachkundiger oder auch Interessierter in den Normungsprozess und in die Entscheidungsfindung einbringen kann.

Besonders aktiv sind wir außerdem beim Thema Europa. Fakt ist, die Regelungshoheit im Bereich der sozialen Säulen und somit auch im Arbeitsschutz verschiebt sich zunehmend nach Europa. Deshalb wird es immer wichtiger, so früh wie möglich die nationale Meinung, unsere Expertise einzubringen und sich für ein hohes Schutzniveau einzusetzen. Wir haben mit der Europavertretung der KAN in Brüssel einen Grundstein gelegt. In den nächsten Jahren müssen und werden wir dieses Potential verstärkt nutzen und die ersten Erfolge im Bereich der Maschinenverordnung, der KI-Verordnung und der Bauproduktenverordnung verstetigen. Und auch in anderen Themenbereichen müssen wir präsenter werden und mit hoher Fachexpertise im Europaparlament, bei der EU-Kommission und bei europäischen Interessenverbänden die KAN-Positionen einbringen.

Hiermit dürften wichtige Meilensteine erreicht sein. Wo sehen Sie in naher Zukunft die größten Herausforderungen und Handlungsfelder für die KAN?

Die KAN mit ihrer breiten Zusammensetzung der interessierten Kreise kann sicher noch präsenter werden und Themen aktiver nach vorne bringen. Ein kohärentes Regelwerk im Arbeitsschutz ist unerlässlich und Normung kann in Teilbereichen in diesem Kontext auch einen wichtigen Mehrwert bieten.

Um eine reale Chance zu haben, den technologischen und gesellschaftlichen Wandel arbeitsschutzgerecht mitzugestalten, muss die KAN die Themen früh erkennen und sich entsprechend positionieren. Dafür haben wir die Strukturen der KAN-Geschäftsstelle angepasst. Diese Strukturen müssen sich jetzt verstetigen.

Wir sollten dazu auch im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit den eingeschlagenen Weg weitergehen und Bewegtbild-Formate, eine verstärkte Ansprache der Generation Z, ein stärkeres Engagement an Unis, Hochschulen, aber auch bei Handwerkskammern und Industrie- und Handelskammern extensiver nutzen.

Wir müssen betroffene Personengruppen in ihrer Sprache ansprechen und für die Probleme und Herausforderungen sensibilisieren, mögliche Auswirkungen aufzeigen, zur aktiven Mitarbeit in der Normung auffordern und die Teilnahme an der Diskussion aus Betroffenensicht fördern und fordern.

Im Bereich der Fachthemen wird in den nächsten Jahren die künstliche Intelligenz in alle Lebensbereiche, zumindest ansatzweise, Einzug halten. Das sind alles Themen, ohne hier eine Wichtung vorzunehmen, die ich jetzt gerade vor Augen habe.

Was erwartet nun Ihre Nachfolgerin Angela Janowitz?

Ein sehr engagiertes KAN-Ehrenamt und ein Vorstand, die voll und ganz hinter den Werten der KAN stehen, ein super motiviertes und hochqualifiziertes Team der KAN-Geschäftsstelle verbunden mit einer angepassten personellen und finanziellen Ausstattung und jede Menge neuer Themen.

Herr Dr. Watermann, wir danken Ihnen für das Interview
und wünschen Ihnen alles Gute.