KANBrief 4/21

Arbeitssicherheit in der additiven Fertigung

Im Arbeitsschutz sind Gefährdungspotenziale das Schlüsselkriterium für die Sicherheitsbewertung. In der additiven Fertigung finden sich aktuell jedoch sehr unzureichende Kriterienkataloge für den Arbeitsschutz, so dass sich noch kein klares Bild abzeichnet. Einschlägige Richtlinien könnten dazu beitragen, den Schutz der Beschäftigten zu gewährleisten und sowohl sicher als auch wirtschaftlich zu produzieren.

Die additive Fertigung, oder auch 3D-Druck, hat in den vergangenen Jahren an Bedeutung für die Industrie gewonnen. Die Idee, Bauteile durch schichtweises Auftragen von Material herzustellen, scheint auf den ersten Blick neu. Allerdings sind additive Verfahren bereits seit den frühen Fünfzigerjahren bekannt und auch in Anwendung. Die Anzahl der verfügbaren Verfahren hat seither enorm zugenommen und die Materialvielfalt ist zeitgleich rasant gewachsen. Entlang der additiven Prozesskette weisen die Verfahren unterschiedliche Gefährdungspotenziale auf.

Unbedenklich oder doch nicht?

Sämtliche Verfahren nutzen ein Ausgangsmaterial, welches durch verfahrensspezifische Methoden zu einem Bauteil zusammengefügt wird. Je nach Verfahren und Material handelt es sich dabei um einen Klebe-, einen Schmelz- oder einen physikalisch-chemischen Prozess. Bei all diesen Prozessen hat man es mit mehr oder weniger bedenklichen Materialien zu tun. Sei es, dass es sich um lungengängiges oder explosionsgefährdetes Pulver handelt, oder aber dass beim Fügeprozess Substanzen freigesetzt werden, die gesundheitsgefährdend sein können. Daneben existieren Gefährdungspotenziale durch etwa Laserstrahlen oder Wärmequellen, wie Schmelzdüsen oder Öfen für thermische Nachbehandlung.

Auch beim Materialhandling und der Nachbearbeitung 3D-gedruckter Teile ist das Thema Arbeitssicherheit zu berücksichtigen. Nahezu jedes additiv gefertigte Teil benötigt irgendeine Form der Nachbehandlung. Ob beim Ablösen des Teils von der Bauplattform, dem Entfernen von Restmaterial oder Stützstrukturen bis hin zur Oberflächenvergütung: Bei all diesen Schritten ist entweder ein mechanisches Einwirken erforderlich, oder es wird zu chemischen Hilfsmitteln gegriffen. Verletzungspotenziale entstehen durch nicht ausreichend abgekühlte Teile, nadelartige Stützgeometrien, teils lungengängige Pulver oder schädliche Dämpfe.

VDI-Richtlinien für einige Verfahren bieten bereits Anleitungen, wie mit einem umsichtig vorbereiteten Einführungskonzept die wesentlichen Gefährdungspotenziale erkannt und mit geeigneten Maßnahmen ein sicherer Betrieb gewährleistet werden kann. „Speziell für die additive Fertigung ist es wichtig, moderne Ansätze bei der Definition von Schutzmaßnahmen zu nutzen. Die Ableitung der erforderlichen Schutzmaßnahmen orientiert sich dabei am Stand der Technik. Dieser wird durch entsprechende Richtlinien und Regeln wiedergegeben. Dabei wirken Regeln für die Betriebssicherheit, den Umgang mit Materialien und die Arbeitssicherheit zusammen und dienen als Beurteilungsmaßstab für eine angemessene Gefährdungsbeurteilung“, konstatiert Dipl.-Ing Martin Worbis, Aufsichtsperson Präventionsbezirk Süd bei der Berufsgenossenschaft Holz und Metall.

Mitwirkung gefragt

Fachleute aus der Industrie sind aufgerufen, bei der Gestaltung einschlägiger Normen und Richtlinien mitzuwirken, um die verschiedenen Aspekte hinsichtlich Arbeitssicherheit und Normung abzudecken und auch die Bedürfnisse der Industrie und der betroffenen Personen mit zu berücksichtigen. Prof. Dr. Christian Seidel von der Hochschule München und Vorsitzender des ISO-Komitees TC 261 für additive Fertigung meint dazu: „Arbeitssicherheit ist ein wichtiges Thema in der additiven Fertigung. In der Praxis findet man umgesetzte Konzepte, die häufig über- oder unterambitioniert erscheinen – das richtige und hinreichende Maß zu finden ist die große Herausforderung. In den Gremien des VDI und teilweise auch innerhalb von ISO wurde daher bereits viel getan, um Technologieanwendern verständliche verfahrensspezifische Richtlinien für einen angemessenen Umgang mit diesem Thema bereitzustellen. Mit der Richtlinienreihe VDI 3405 Blatt 6.1 bis 6.3 steht ein nahezu umfassendes Werk zur Verfügung. Eine rechtzeitige Berücksichtigung notwendiger Maßnahmen ermöglicht es, den erforderlichen Schutz der Beschäftigten sicherzustellen, ohne dabei die Handlungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit zu schädigen.“ Corrado Mattiuzzo, Leiter des Bereichs Facharbeit in der KAN-Geschäftsstelle, bringt die Notwendigkeit zur Mitarbeit auf den Punkt: „Das Interesse an der Normung zu den additiven Fertigungsverfahren ist schon sehr groß. Allerdings dominieren Anlagen- und Komponentenhersteller, Prüfhäuser und Anwender die Normenausschüsse auf nationaler und internationaler Ebene. Daher appellieren wir mit Nachdruck an die Arbeitsschutzexperten, hier ebenfalls aktiv mitzuwirken, damit die künftigen Normen den Erwartungen der Prävention entsprechen und mit dem nationalen Arbeitsschutzregelwerk vereinbar sind.“

Fazit: Arbeitssicherheit in der additiven Fertigung ist ein Thema, bei dem die Industrie und die zuständigen Gremien in der Verantwortung stehen, praktikable und angemessene Richtlinien und Handlungsanweisungen bereitzustellen, die ein sicheres und möglichst gefährdungsfreies Arbeiten und Forschen ermöglichen, ohne den Innovationsstrom zu bremsen. Ein spannendes Feld, das von der Expertise und dem Know-how aus der konventionellen Fertigung lernen und profitieren kann, trotzdem aber seinen eigenen Weg finden muss, um themenspezifische Besonderheiten zu berücksichtigen.

Georg Schöpf

Freier Redakteur und
Chefredakteur des
Fachmagazins Additive Fertigung des Fachverlages x-technik