KANBrief 3/25
Für zahlreiche Produktgruppen werden digitale Produktpässe künftig hilfreiche Informationen bereitstellen. Ihre Einführung und die Chancen, die sie für Kreislaufwirtschaft und Arbeitsschutz bieten, beschäftigen die betroffenen Akteure seit Veröffentlichung der Ökodesign-Verordnung im Sommer 2024.
Die im Sommer 2024 in Kraft getretene EU-Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte führt das Konzept digitaler Produktpässe ein. Aber auch viele aktualisierte Rechtstexte im Produktrecht enthalten inzwischen die Anforderung für einen solchen Produktpass, z.B. die Batterie-Verordnung, die Bauprodukte-Verordnung und die künftige Spielzeug-Verordnung.
Ein digitaler Produktpass ist ein produktspezifischer Datensatz, der elektronisch zugänglich ist, beispielsweise über einen QR-Code. Er enthält Angaben zu Leistungsmerkmalen und verpflichtende Informationen wie die eindeutige Produktkennung, Unterlagen zur Konformität, Benutzerhandbücher, Gebrauchsanleitungen, Warn- oder Sicherheitshinweise, Herstellerinformationen, den CO2-Fußabdruck und vieles mehr. Die Daten unterscheiden sich je nach Produktgruppe und werden über produktspezifische Verordnungen oder entsprechende delegierte Rechtsakte festgelegt.
Produktpässe ermöglichen, dass relevante Produktinformationen für die sichere Verwendung, Reparatur und das Recycling einschließlich sicherheitsrelevanter Informationen für Mensch und Umwelt in der gesamten Wertschöpfungskette und während des gesamten Produktlebenszyklus für alle verfügbar sind. Sie sollen die Kreislaufwirtschaft fördern und nachhaltige Produkte zur Norm machen.
Jeder Akteur hat entsprechend seiner Rolle unterschiedliche Zugriffsrechte. Unternehmen gibt der Produktpass die Möglichkeit zur Verknüpfung mit Informationen zu anderen Produkten, so dass digitale Produktpässe für die Erstellung von digitalen Zwillingen von komplexen Produkten hilfreich sein können. Außerdem kann die komplette Lebensgeschichte eines Produkts nachverfolgt werden, was wiederum die unterschiedlichsten Dienstleistungen im Zusammenhang mit Wiederaufarbeitung, Reparierbarkeit, Wiederverwendung, Second Life, Recyclingfähigkeit und neue Geschäftsmodelle ermöglichen kann. Hinzu kommt die Möglichkeit, die Rohstoffgewinnung/-produktion nachzuverfolgen. Verbraucherinnen und Verbraucher können anhand der Daten informierte Kaufentscheidungen treffen.
Außerdem können Produktpässe Marktüberwachungsbehörden und Zollbehörden bei der Erfüllung ihrer Aufgaben unterstützen. Insbesondere kann die Bereitstellung zuverlässiger Informationen für Behörden und politische Entscheidungsträger dazu beitragen, Risikovermutungen zu beurteilen und entsprechende Handlungsoptionen auszuarbeiten.
Der digitale Produktpass zielt in erster Linie auf die Nachhaltigkeit von Produkten ab, er bietet jedoch auch Chancen für den Arbeitsschutz. Auf den einzelnen Stufen der Produktherstellung, -nutzung, -reparatur, -wiederaufbereitung, -recycling sind Beschäftigte an den unterschiedlichsten Arbeitsplätzen involviert. Für Arbeitgeber könnte der Produktpass zu einer wichtigen Informationsquelle für die Gefährdungsbeurteilung werden. Wenn ein Arbeitgeber weiß, welche Gefährdungen von einem Produkt ausgehen oder wo im Produkt sich besorgniserregende Stoffe befinden, fällt es leichter, für verschiedene Tätigkeiten geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Insbesondere in der Planungsphase, etwa vor dem Bau neuer Anlagen, sind die Informationen aus dem Produktpass besonders wichtig, da die nachträgliche Umrüstung oder entsprechende Anpassungen in der Regel sehr kostenintensiv und häufig technisch oder baulich nicht möglich sind.
Nicht alle Informationen des digitalen Produktpasses sind in allen Phasen und für alle Beteiligten des Lebenszyklus eines Produktes relevant. Umso wichtiger ist es, dass bekanntes Wissen über Risiken z.B. aus dem Herstellungsprozess für Reparatur- und Recyclingprozesse zur Verfügung steht und umgekehrt. So werden bei Carbonfasermaterialien die Fasern erst bei wiederholten Zerkleinerungsprozessen dünner und kürzer. Damit steigt das Risiko, dass die Fasern in die Lunge gelangen und vom Körper nicht abgebaut werden können. Es tritt also plötzlich ein Risiko an einer Stelle im Lebenszyklus eines Produktes auf, das beim ursprünglichen Produkt und während seiner Verwendungsphase keine Rolle gespielt hat. Bleibt derartiges Wissen über Risiken in der Wertschöpfungskette erhalten, können Beschäftigte besser geschützt werden.
Digitale Produktpässe werden nach und nach für alle Produktgruppen rechtlich verpflichtend sein. Für 2027 ist der Batteriepass geplant, dann folgen weitere Produktgruppen, zunächst Textilien, Bauprodukte, Spielzeug, Matratzen, Möbel, Wasch- und Reinigungsmittel. Aktuell laufen nach wie vor die technischen Vorbereitungen. Die Normung ist dabei bereits sehr aktiv, einheitliche Strukturen festzulegen und trägt damit massiv zur Umsetzung der digitalen Produktpässe in die Praxis bei. Die inhaltliche Ausgestaltung folgt und ergibt sich bereits teilweise durch die rechtlichen Vorgaben. Ob es sinnvoll sein wird, Normungsaktivitäten zu arbeitsschutzrelevanten Inhalten anzustoßen, ist abzuwarten und zu diskutieren.
Es wird für alle Beteiligten mit viel Arbeit verbunden sein, das System des digitalen Produktpasses in die Praxis umzusetzen und die Daten in standardisierter Form zugänglich zu machen. Ein Vorteil ist, dass viele Informationen auf den unterschiedlichen Stufen der Wertschöpfungsketten bereits vorliegen. Ist die Umsetzung geschafft, kann der digitale Produktpass auch bei Dokumentations-, Nachweis- und Sorgfaltspflichten unterstützen. Es bleibt zu hoffen, dass das Potenzial dieses Kommunikationsinstruments sektor- und regelungsübergreifend voll ausgeschöpft wird, wie es die Europäische Kommission in ihrer Binnenmarktstrategie anstrebt.
Nicoletta Godas
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA)
godas.nicoletta@baua.bund.de