KANBrief 3/25

Arbeitsschutz und Normung: spannend auch noch nach 30 Jahren

Zum 1. Juli 2025 hat Angela Janowitz die Leitung der KAN-Geschäftsstelle an ihre Nachfolgerin Dr. Monika Maintz übergeben. In einem Rückblick spricht sie über 30 Jahre Einsatz für den Arbeitsschutz in der Normung.

Sie waren fast von Stunde null an mit an Bord der KAN-Geschäftsstelle. Erinnern Sie sich noch an die Anfangszeit?

Ja, sehr gut. Es war eine unglaublich spannende Zeit. Das ganze Projekt wurde in eine Atmosphäre des Aufbruchs hineingeboren: Der Ostblock war gerade zerfallen, Europa öffnete sich, neue Länder traten der EU bei – überall herrschten Zuversicht, Offenheit und der Glaube an eine starke, gemeinsame europäische Zukunft.

In dieser Stimmung wagte Europa neue Wege: Privatwirtschaftlich erarbeitete Normen sollten dabei helfen, europäisches Recht umzusetzen. Die Normung erhielt eine zentrale Rolle im europäischen Binnenmarkt – und der Arbeitsschutz wurde dabei ausdrücklich mitgedacht.

In genau diesem Umfeld haben die Kreise des Arbeitsschutzes unter Einbeziehung von DIN die KAN gegründet. Dies geschah, um als starke Stimme des Arbeitsschutzes gegenüber der Normung zu agieren und um die Forderung europäischer Rechtsgrundlagen umzusetzen, den Sozialpartnern die Einflussnahme auf die Normung zu vereinfachen. In der Geschäftsstelle haben wir viel Gestaltungsfreiraum bekommen, um diesen Auftrag mit Leben zu füllen. Dennoch galt es zunächst, das Vertrauen aller relevanten Kreise des Arbeitsschutzes in die KAN und die Geschäftsstelle aufzubauen. Die Akteure saßen erstmals gemeinsam zum Thema Normung an einem Tisch. Entscheidungen sollten im Konsens getroffen werden, um dem Arbeitsschutz aus einer starken Position heraus in der Normung Geltung zu verschaffen – ein damals durchaus ambitioniertes Ziel. Ein wichtiger Schritt dahin war, dass das DIN-Präsidium 1996 die KAN als die Repräsentantin der Arbeitsschutzkreise in der nationalen Normung anerkannt und ihrer Stimme damit besonderes Gewicht verliehen hat.

Von nun an war es Aufgabe der KAN, sich für hohe Sicherheitsanforderungen in Produktnormen einzusetzen. Gleichzeitig war es den Arbeitsschutzkreisen wichtig, den nationalen Regelungsspielraum zum betrieblichen Arbeitsschutz zu erhalten. Schon mit dem 1993 verabschiedeten „Gemeinsamen Deutschen Standpunkt“ hatten sie die Grenzen der Normung deutlich gemacht. Auch die europäischen Normungsorganisationen CEN und CENELEC haben 1997 in einer Resolution festgestellt, dass der Beitrag von Normen zur Gestaltung des Arbeitsumfeldes begrenzt sei. ISO und IEC haben in ihren Regularien betont, dass Anforderungen an Produkte und an den Betrieb in voneinander getrennten Normen oder Normteilen geregelt werden sollten. Diese Grenzen der Normung zu verteidigen, ist auch heute noch eine der Aufgaben der KAN.

Was hat sich in den letzten 30 Jahren bei der KAN und generell im Bereich Arbeitsschutz und Normung verändert?

Die Normung hat sich in dieser Zeit stark internationalisiert. Der Arbeitsschutz musste sich in diesem Prozess seinen Platz erkämpfen. Außerdem sind Normen zunehmend in Bereiche eingedrungen, die in Europa außerhalb der Normung national geregelt werden. Das führt zwangsläufig zu Spannungen. Noch im Jahr 2000 konnte die Überführung eines britischen Standards zum Arbeitsschutzmanagement in eine internationale Norm unter anderem durch den Einsatz der Arbeitsschutzkreise abgewendet werden. Allerdings nicht dauerhaft: Heute gibt es bei ISO ein ganzes Technisches Komitee, das Normungsdokumente zu diesem Thema entwickelt.

Die Normung wird stets von politischen Entwicklungen, neuen Technologien und globalen Ereignissen beeinflusst, die die KAN zwingen, Stellung zu beziehen. Ein Beispiel waren die – wenn auch letztlich gescheiterten – Verhandlungen zum TTIP-Freihandelsabkommen ab 2013, in denen Normung ein wichtiges Element war. Die KAN hat wiederholt, auch im Schulterschluss mit Arbeitsschutzpartnern in Frankreich, gefordert, dass ein solches Abkommen nicht auf Kosten von Sicherheit und Gesundheit gehen darf.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage im Hinblick auf Arbeitsschutz und Normung?

Wir leben in einer Zeit großer Umbrüche – gesellschaftlich, politisch und technologisch. Lange standen offene Märkte und internationale Zusammenarbeit im Vordergrund. Heute dagegen beobachten wir eine stärkere Rückbesinnung auf regionale, in unserem Fall europäische Lösungen sowie den Wunsch, die Märkte und Prozesse wieder stärker selbst zu steuern. Auch in der Normung zeigt sich das.

Insgesamt hat sich das normungspolitische Umfeld, in dem wir uns als KAN bewegen, enorm weiterentwickelt: Bereits 2003 hat die EU-Kommission angekündigt, das Neue Konzept, also das Zusammenspiel aus europäischer Rechtsetzung und Normung, weiterentwickeln zu wollen. Seitdem folgten weitere Rechtsakte und Strategien, um dieses System weiter zu stärken und zu vereinheitlichen: 2008 der „Neue Rechtsrahmen“ mit Verordnungen zur Marktüberwachung und Akkreditierung, 2012 die EU-Normungsverordnung und 2022 die EU-Normungsstrategie. Aktuell steht die Überarbeitung der Normungsverordnung vor der Tür. Die EU-Kommission will das Normungssystem modernisieren und schneller machen, ihrer Mitverantwortung für die Normeninhalte nachkommen. Sie will unabhängiger von weltweiten Märkten werden und besser vorbereitet auf den digitalen und grünen Wandel. Aus Sicht der KAN ist es auch künftig unverzichtbar, eine hohe Transparenz des Verfahrens zu gewährleisten, alle relevanten Kreise zu beteiligen und Normen im Konsens zu erstellen.

Eine weitere Herausforderung ist aktuell die schnelle technische Entwicklung von neuen Produkten wie smarter persönlicher Schutzausrüstung, autonom fahrenden Fahrzeugen, Datenbrillen, kollaborierenden Robotern und künstlicher Intelligenz. Diese bieten viele Chancen, Risiken im Arbeitsalltag zu mindern, bringen aber auch neue Gefährdungen mit sich. Hier stellen die Fachleute des Arbeitsschutzes ein fundiertes Fachwissen bereit und bringen die Forderungen des Arbeitsschutzes unterstützt durch die KAN in die Normung ein.

Was mich besonders freut: Die KAN hat sich immer fachlich und organisatorisch weiterentwickelt. Ihre Kreise stehen weiterhin geschlossen hinter dem Projekt KAN. Und die hohe Fachkompetenz der Geschäftsstelle wird national wie europäisch geschätzt – auch das ist unsere Stärke. Mein Fazit nach 30 Jahren: Die KAN war und ist eine starke Stimme des Arbeitsschutzes – und sie ist angesichts der aktuellen Entwicklungen wichtiger denn je.