KANBrief 3/24

World in transition – Europe in adaptation – OSH under pressure

Rund 110 Fachleute aus Arbeitsschutz, Normung, Prüfung und Regelsetzung kamen am 13./14. Juni 2024 in Krakau zur 8. EUROSHNET-Konferenz zusammen. Der Green Deal, die KI-Verordnung und die Kreislaufwirtschaft sind nur einige der vielen Punkte, die aktuell in Europa hoch auf der Agenda stehen und auf die sich der Arbeitsschutz mit neuen Konzepten und Arbeitsweisen einstellen muss.

Digitale Technologien verändern in großem Maße, wie, wo und wann wir arbeiten. Maurizio Curtarelli (Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, EU OSHA) zeigte auf, dass der Einsatz digitaler Werkzeuge neue Chancen eröffnet, zum Beispiel größere Eigenständigkeit und Flexibilität und eine bessere Arbeitsorganisation. Andererseits könnten etwa mit kollaborierenden Robotern oder Systemen, die Beschäftigte überwachen oder deren Arbeitstempo bestimmen, auch negative Folgen einhergehen. Zeitdruck und die Entgrenzung der Arbeitszeit nehmen zu und Kommunikation und Zusammenarbeit leiden. Auch müsste die zunehmende Telearbeit konsequenter in der Gefährdungsbeurteilung berücksichtigt werden. Curtarelli wies außerdem auf die neuen Verpflichtungen hin, die sich aus der EU-Verordnung zu künstlicher Intelligenz für Arbeitgeber ergeben, etwa in Bezug auf Datenschutz, die Transparenz von KI-Systemen oder die Arbeitnehmerbeteiligung bei KI-basierten Entscheidungsprozessen.

Die Normung entwickelt sich von einem rein technischen zu einem zunehmend strategischen und politischen Werkzeug, so Mattias Bergdahl, stellvertretender Leiter des Referats Normungspolitik in der Generaldirektion GROW. Mit der Normungsstrategie, der Einrichtung eines High Level Forums on Standardization und der Benennung eines Chief Standardization Officer trage die Europäische Kommission dieser Entwicklung Rechnung. Es sei wichtig, Silodenken aufzubrechen, alle Akteure an einen Tisch zu bringen und Unternehmen dafür zu sensibilisieren, wie wichtig die Mitarbeit ist – gerade in neuen Themenbereichen wie künstlicher Intelligenz, Cybersecurity und dem Green Deal – um die europäischen Interessen in der Normung langfristig zu wahren: „Wenn wir die Normung nicht vorantreiben, machen es andere für uns“.

Maschinen, künstliche Intelligenz und Cybersecurity

Die neuen EU-Verordnungen zu Maschinen, KI und Cybersecurity stellen die Normung vor gewaltige Herausforderungen: Über 800 harmonisierte Maschinennormen mit mehr als 44.000 Seiten müssten eigentlich bis Januar 2026 an die neuen Rechtsgrundlagen angepasst werden – eine Mammutaufgabe, die in der kurzen Zeit schlicht nicht leistbar ist. Catherine Lubineau (Union de Normalisation de la Mécanique, UNM) stellte den Fahrplan vor, nach dem die bestehenden Normen zunächst mit gewissen Einschränkungen der Vermutungswirkung im Amtsblatt der EU gelistet werden sollen. Nach einer Prioritätensetzung können sie dann nach und nach an die neuen Anforderungen angepasst werden.

Vor neuen Aufgaben steht auch die Marktüberwachung. Die Tatsache, dass die Verordnungen zu Maschinen, künstlicher Intelligenz und Cybersecurity sich jetzt in den Neuen Rechtsrahmen einfügen, sei ein großer Schritt voran, so Jorge Iñesta (Marktüberwachung Region Madrid). Allerdings sei es aktuell kaum möglich, die zahlreichen und oft hochkomplexen technischen Neuerungen angemessen zu überwachen. Es brauche mehr Fachpersonal mit multidisziplinären Kompetenzen, spezialisierte Prüfeinrichtungen und Fortbildungen zu technischen Neuerungen. Entscheidend für eine wirkungsvolle Marktüberwachung sei zudem eine vertrauensvolle und effektive Zusammenarbeit zwischen den Behörden aller Mitgliedstaaten und mit allen beteiligten Kreisen.

Green Deal und Klimawandel

Die EU hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu werden. Um den Green Deal und die Kreislaufwirtschaft zu unterstützen, haben die Normungsorganisationen bereits einiges unternommen, wie Jörg Megow (Deutsches Institut für Normung, DIN) erläuterte. So habe DIN zur Umsetzung der „ISO London Declaration“ zur Bekämpfung des Klimawandels von 2021 einen detaillierten Klima-Aktionsplan erarbeitet. Dazu gehört die Überprüfung und Ergänzung von Normen anhand einer Toolbox, der Aufbau der nötigen Expertise sowie Kommunikation und Austausch mit anderen Normungsorganisationen und weiteren Partnern.

Auch für den Arbeitsschutz spielt der Klimawandel eine große Rolle: Höhere Temperaturen, Luftverschmutzung, UV-Strahlung, Extremwetterereignisse und tierübertragene Infektionskrankheiten wirken auf die Beschäftigten ein. Zudem halten neue Technologien, z. B zur Energiegewinnung, Einzug. Psychologie, Physiologie, Arbeitsmedizin, Technik, Organisation und Soziologie müssen nach Ansicht von Anna-Maria Teperi (Finnish Institute of Occupational Health, FIOH) gemeinsam betrachtet werden, um Gefährdungen früh zu erkennen und tragfähige Lösungen zu entwickeln.

Neue Formen der Arbeit

Jorge Martín (spanisches Arbeitsschutzinstitut INSST) machte deutlich, dass die Digitalisierung viele Facetten hat: von der Automatisierung über digitale Produktionsprozesse bis hin zum Einsatz von Algorithmen für Koordinierung, Überwachung und Entscheidungsprozesse. Gerade letztere führten zu psychosozialen Risiken, etwa durch die automatische Zuteilung von Schichten, Aufgaben oder Zeitvorgaben oder durch automatisierte Bewertungsmechanismen. Er warb dafür, sich das Potential der künstlichen Intelligenz zunutze zu machen, dabei aber die Risiken nicht außer Acht zu lassen.

Wie werden wir in Zukunft arbeiten? Im Projekt "Work in 2040" des französischen Arbeitsschutzinstituts INRS haben Jennifer Clerté und ihr Team analysiert, welche potenziellen Risiken für den Arbeitsschutz mit zehn Trends der Zukunft der Arbeit verbunden sind. Dazu zählen die massive Zunahme der Telearbeit, der Wunsch nach Selbstständigkeit, eine zunehmend ergebnisorientierte Managementkultur und der verstärkte Wettbewerb um Fachkräfte.

Innovative Produktgestaltung

Aktuelle Trends bei persönlicher Schutzausrüstung sind smarte Funktionen zur Datenerfassung und Analytik, KI-gesteuerte Gestaltung, die Personalisierung von PSA und nachhaltige Materialien und eine umweltfreundliche Produktion. Małgorzata Okrasa (CIOP-PIB) mahnte, dass bei der Gestaltung menschliche Einflussgrößen im Mittelpunkt stehen müssen, damit Sicherheit, Benutzerfreundlichkeit und Komfort gewährleistet sind. Gerade bei smarten Funktionen gelte es, eine Überfrachtung der Nutzenden mit zu vielen oder unübersichtlichen Informationen zu vermeiden.

Europäische Normung im internationalen Umfeld

Frank Wohnsland (CEN-Sektorforum Maschinen) bemerkte, dass es für europäische Interessenvertreter oft schwierig ist, sich auf ISO-Ebene einzubringen und dafür zu sorgen, dass die Normen mit dem europäischen Rechtsrahmen kompatibel sind. Die Herangehensweisen und Prioritäten unterschieden sich mitunter erheblich zwischen Europa und anderen Teilen der Welt. Damit Europa wettbewerbsfähig bleibe, sei es wichtig, dass beide Ebenen sinnvoll ineinandergreifen. Zudem müsse sichergestellt werden, dass wenig vertretene Kreise wie Arbeitnehmer ausreichend Gehör finden, forderte Claes-Mikael Ståhl (Europäischer Gewerkschaftsbund). Ansonsten sei die Legitimität von Normen in Frage gestellt. Ewa Zielinska (PKN, CENELEC-Vizepräsidentin) verwies darauf, dass eine Stärkung der nationalen Strukturen für die Beteiligung sinnvoll sei, etwa durch eine kostenfreie Mitarbeit.

Henk Vanhoutte (European Safety Federation) betonte, dass es angesichts neuer Technologien wie KI wichtig sei, dass sich der Rechtsrahmen und die Normung im Einklang miteinander weiterentwickeln, um ein hohes Sicherheitsniveau zu gewährleisten. Gute Normen seien für die Konformität von Produkten und eine verlässliche Prüfung und Zertifizierung unerlässlich.

Sonja Miesner
miesner@kan.de

Michael Robert
robert@kan.de