KANBrief 2/20

Mehr Verkehrssicherheit durch automatisiertes Fahren – nicht ohne feste Regelungen

Der aktuell laufende Entwicklungsprozess vom teilautomatisierten Fahren hin zum hoch- und vollautomatisierten, letztlich autonomen Fahren soll enorme Fortschritte in der Verkehrssicherheit bringen. Entscheidend für den Erfolg dieser Entwicklung ist eine begleitende Regelsetzung, die es erlaubt, für fahrzeuglenkende Personen europaweit, wenn nicht gar weltweit, sichere und möglichst einheitliche Lösungen zu finden.

Der weitaus größte Teil aller Verkehrsunfälle in Europa geht nicht auf technische Ursachen zurück, sondern beruht auf menschlichem Fehlverhalten, oft durch Ablenkung, Fehleinschätzung oder Überforderung.

Die Vision Zero ist in Deutschland Bestandteil des aktuellen Koalitionsvertrages und in den meisten Verkehrssicherheitsprogrammen der Bundesländer und großer Städte wie München (Praesentation-Muenchen-Vision-Zero-Schreiner (pdf)) festgeschrieben. In Ländern wie Schweden ist sie sogar gesetzlich verankert. Grundsatz der Vision Zero ist, dass Leben nicht verhandelbar ist – auch wenn Menschen Fehler machen. Der Deutsche Verkehrssicherheitsrat hat dargestellt, dass mit seinen zehn TOP-Maßnahmen die Ursachen von rund 90 Prozent der tödlichen und schweren Verkehrsunfälle adressiert werden können.

Verkehrssicherheit: Der Weg ist das Ziel

In der aktuellen Literatur werden fünf Stufen bis zum autonomen Fahren unterschieden. In Stufe 2, dem teilautomatisierten Fahren, erfolgt eine Unterstützung sowohl bei der Längs- als auch bei der Querführung und eine entsprechende Erfassung des Verkehrsgeschehens. Entsprechende Systeme wie das ACC (Tempomat mit Abstandsregelung) und Spurhalteassistenten sind seit Jahren auf dem Markt und inzwischen auch bei preisgünstigen Neuwagen erhältlich. Durch sie können zum Beispiel fast alle Auffahrunfälle vermieden werden.

Der nächste Schritt (Stufe 3) ist das hochautomatisierte Fahren, in dem Fahrzeuglenkende erst auf eine Übernahmeaufforderung hin wieder selber tätig werden sollen. Mehrere Fahrzeuge wie der BMW iNext sind für Ende 2020 und Anfang 2021 mit Stufe 3 für bestimmte Situationen wie Fahren auf Autobahnen angekündigt.

Mit der Stufe 4 folgt das vollautomatisierte Fahren und mit Stufe 5 das fahrerlose, sogenannte autonome Fahren. Wegen der hohen Kosten ist jedoch davon auszugehen, dass die Stufen 4 und 5 auf absehbare Zeit selten für Privatfahrzeuge verfügbar sein werden, sondern auf spezielle Anwendungen begrenzt werden. Das können zum Beispiel Lkw auf Langstrecken in den USA sein, wo sich der hohe Aufwand für vollautomatisiertes Fahren aufgrund mangelnder Fahrerverfügbarkeit und durch die einge­sparten Lohnkosten rechnet. Ebenso sind Robottaxen und vollautomatisiert fahrende Busse im ÖPNV wahrscheinlich.

Aus Sicht der Verkehrssicherheit ist mit jeder höheren Stufe von einer deutlichen Reduzierung der Unfallzahlen auszugehen. Entscheidend ist aber, wie das erreicht wird: durch immer mehr und immer klügere Fahrerassistenzsysteme (FAS). Deren zunehmende und dadurch immer preiswertere Nutzung bringt die großen Gewinne für die Verkehrssicherheit, nicht die auch mittelfristig noch kleine Zahl von Stufe-3-Fahrzeugen.

Die General Safety Regulation (GSR) der EU

Ende 2019 hat die Europäische Union die sehr weitreichende General Safety Regulation (GSR) verabschiedet, die immer mehr wichtige Fahrerassistenzsysteme schrittweise verbindlich macht: ab 2022 EU-weit in neuen Kfz-Typen und ab 2024 in allen Neuzulassungen. Die Verordnung umfasst Notbrems-, Geschwindigkeits-, Spurhalte-, Müdigkeits- und Abbiegeassistenten, Fußgängererkennung, Unfalldatenspeicher usw. Auch wenn diese Systeme ihre Wirkung in den nächsten Jahren erst schrittweise entfalten, wird die GSR parallel zum automatisierten Fahren einen enormen Gewinn für die Verkehrssicherheit bringen.

Verbindliche Regelsetzung ist wichtig

Die GSR beschreibt die grundlegenden Pflichten der Hersteller und gibt das Ziel für sicherere Fahrzeuge vor. Die konkreten Mindestanforderungen für die Fahrerassistenzsysteme werden derzeit durch Regelungen der UN/ECE (Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa / United Nations Economic Commission for Europe) festgelegt, damit alle Fahrzeughersteller weltweit entsprechende Systeme entwickeln und zeitgerecht auf den Markt bringen können. Diese Regelsetzung ist aus Sicht der Verkehrssicherheit insbesondere wichtig für vorausschauende Notbremsassistenten und Abbiegeassistenten, die Fußgänger und Radfahrer vor und neben den Fahrzeugen entdecken, die Kfz-Fahrer warnen und gegebenenfalls Kollisionen vermeiden.

Prof. Dr. Walter Eichendorf
Präsident des Deutschen
Verkehrssicherheitsrates (DVR)

Walter.Eichendorf@DVR.de