KANBrief 2/20

Basiswissen: Schritt für Schritt zur Europäischen Norm

Sie haben eine Idee oder einen Vorschlag für eine Norm? Sie möchten eine bestehende Norm ändern, zum Beispiel weil die Sicherheitstechnik sich weiterentwickelt hat? Prima, doch wie funktioniert die europäische Normung eigentlich? Wir zeigen Ihnen die einzelnen Schritte und geben Ihnen Tipps, an welcher Stelle Sie in welcher Weise Einfluss auf das Verfahren nehmen können.

Am Anfang jeder Norm steht ein Normungsantrag bei der jeweiligen nationalen Normungsorganisation, in Deutschland bei DIN. Dort kann der Antrag über ein Onlineformular eingereicht werden.

  •  Bereits im Vorfeld kann man aus Arbeitsschutzsicht einiges tun, um das Normungsvorhaben positiv zu beeinflussen. Je ausgereifter und detaillierter der Vorschlag ist, desto besser ist die Diskussionsgrundlage im Normenausschuss.

Der Antrag wird bei DIN zunächst geprüft. Falls das Projekt als europäische Norm umgesetzt werden kann oder eine internationale Norm angestrebt wird, leitet DIN den Antrag an die europäische Normungsorganisation CEN oder die internationale Normungsorganisation ISO weiter (Für die Bereiche Elektrotechnik und Telekommunikation gibt es eigene Normungsorganisationen, die hier ausgeklammert werden). Damit ein Normungsantrag auf europäischer Ebene angenommen werden kann, müssen sich unter anderem mindestens fünf Länder bereiterklären, an der Norm mitzuarbeiten.

  • Wenn man Kontakte zu Arbeitsschutzfachleuten in anderen europäischen Ländern hat, sollten diese bereits im Vorfeld aktiviert werden. So kann man die Chance deutlich erhöhen, dass der Normungsantrag angenommen wird. Bei der Vermittlung von Kontakten kann die KAN unterstützend zur Seite stehen.

Ist das Projekt angenommen, wird es dem thematisch zuständigen Normungsgremium zugeordnet. Gibt es kein passendes Gremium, muss ein neues ins Leben gerufen werden.

Die Arbeiten der europäischen Ebene werden von nationalen Normenausschüssen, die als sogenannte Spiegelgremien fungieren, begleitet. Das bedeutet, dass der zuständige nationale Ausschuss über die Arbeiten informiert wird und über die entsandten Experten und Delegierten seine Position an die Arbeitsgruppe (WG) und den technischen Ausschuss (TC) auf europäischer Ebene weitergeben kann. Die europäische Arbeitsgruppe besteht aus Experten, die ihre Fachmeinung frei vertreten und für die eigentliche Arbeit am Text der Norm zuständig sind. Der technische Ausschuss hat im Wesentlichen koordinierende Aufgaben und fasst Beschlüsse. Hierhin entsenden alle nationalen Normungsorganisationen Delegierte, die an die national abgestimmte Meinung des Spiegelgremiums gebunden sind.

  • Die Mitarbeit in den Gremien ist die beste Möglichkeit, den Inhalt einer Norm mitzugestalten. Auch wenn sie zeit- und kostenaufwändig sein kann, zahlt sich die persönliche Mitwirkung oftmals aus.

Hat das Dokument einen Status erreicht, den die Experten der Arbeitsgruppe für konsensfähig halten, entscheidet der technische Ausschuss darüber, ob nun die öffentliche Umfrage zum Normentwurf (prEN) eingeleitet werden kann. Das Konsensprinzip ist in der Normung essentiell. Es besagt, dass eine Norm nur veröffentlicht werden soll, wenn es keinen anhaltenden Widerstand gegen ihre Inhalte gibt. Im Ausnahmefall kann es auch zu Abstimmungen kommen.

  • Während der öffentlichen Umfrage steht der Text des Normentwurfes bei DIN auf Deutsch frei zur Einsicht im Internet zur Verfügung und jede Person kann innerhalb von 2 Monaten dazu Stellung nehmen. Bei einer Stellungnahme zum Arbeitsschutz kann die KAN die Fachleute wirkungsvoll unterstützen. Der Vorteil einer KAN-Stellungnahme ist, dass sie für die gebündelte Meinung aller am Arbeitsschutz interessierten Kreise in Deutschland steht und somit gegenüber einzelnen Stellungnahmen ein höheres Gewicht hat.

Nach Ablauf der öffentlichen Umfrage findet zunächst national eine Einspruchsberatung statt, bei der die Einsprecher ihre Stellungnahmen erläutern können. Die Ergebnisse der anschließenden internen Beratung gibt das nationale Spiegelgremium dann an die europäische Ebene weiter. Dort beraten die Experten die eingegangenen Stellungnahmen aus allen Ländern und entscheiden im Konsens oder in Einzelfällen nach Mehrheit über Annahme oder Ablehnung der vorgeschlagenen Textänderungen.

Im Anschluss arbeitet die Arbeitsgruppe die angenommenen Kommentare in den Normentwurf ein. Das neue Dokument wird als Schluss­entwurf (FprEN) erneut an die CEN-Mitglieder verteilt. Während dieser Umfrage können keine neuen fachlichen Kommentare eingebracht werden, sondern jedes nationale Normungsinstitut kann nur mit Zustimmung, Ablehnung oder Enthaltung stimmen. Ist eine ausreichende Zustimmung (Mindestens 55 % der abgegebenen Stimmen müssen Ja-Stimmen sein; die zustimmenden Länder müssen außerdem mindestens 65 % der Gesamtbevölkerung aller abstimmenden Mitgliedsländer repräsentieren, siehe CEN/CENELEC-Geschäftsordnung Teil 2 (pdf)) erreicht, wird die Norm als Europäische Norm (EN) veröffentlicht.

  • Alle Normungsorganisationen, die Mitglied von CEN sind, müssen jede europäische Norm unverändert in ihr nationales Normenwerk übernehmen. Gibt es nationale Gesetze, die dem Inhalt der Norm widersprechen, muss in einer sogenannten A-Abweichung im Anhang der Norm auf diese hingewiesen werden. Auf sonstige nationale Vorschriften kann in einem separaten Vorwort, in Anmerkungen oder im Anhang der jeweiligen nationalen Fassung verwiesen werden.

Eine besondere Stellung nehmen harmonisierte europäische Normen ein. Sie werden von der Europäischen Kommission in Auftrag gegeben und konkretisieren EU-Richtlinien oder –Verordnungen. Nach Veröffentlichung ihrer Fundstelle im Amtsblatt der EU lösen harmonisierte Normen eine Konformitätsvermutung aus. Das bedeutet, dass ein Hersteller, der ein Produkt nach einer harmonisierten Norm produziert, davon ausgehen kann, dass er die von der Norm abgedeckten geltenden EU-Rechtsvorschriften einhält.

  • Die Listung der Norm im Amtsblatt der EU kann, z.B. bei schwerwiegenden Sicherheitsbedenken, durch einen formellen Einwand über die Regierungen der Mitgliedstaaten angegriffen werden. Für den Bereich Arbeitsschutz unterstützt die KAN das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bei formellen Einwänden.

Bei bestehenden Normen wird alle fünf Jahre überprüft, ob eine Überarbeitung notwendig ist. Mit Begründung ist ein Antrag auf Überarbeitung auch dazwischen möglich. Der gesamte Normungsprozess dauert in der Regel drei Jahre, vorbereitende Arbeiten nicht eingerechnet.

Wenn Sie noch Fragen zum Normungsablauf und zu Ihren Einflussmöglichkeiten haben oder sich strategische Unterstützung bei der Mitarbeit im Normungsgremium wünschen, wenden Sie sich an die KAN-Geschäftsstelle. Wir unterstützen Sie gerne!

Katharina von Rymon Lipinski
vonrymonlipinski@kan.de

Der vorliegende Artikel beschreibt die Abläufe am Beispiel von Deutschland. Bis auf kleinere Abweichungen läuft das Normungsverfahren bei den übrigen CEN-Mitgliedern genauso ab.