KANBrief 2/20

Ein Jahr E-Scooter auf deutschen Straßen – eine Zwischenbilanz

In vielen Städten hat man sich inzwischen an den Anblick der Elektrotretroller gewöhnt. Wer sie bereits ausprobiert hat, weiß, dass es gar nicht so leicht ist, mit den kleinen Rädern der Roller über Unebenheiten zu fahren oder Handzeichen zum Abbiegen zu geben. E-Scooter werden zudem oft regelwidrig zu zweit oder auf dem Gehweg genutzt. Die Diskussion über die Sicherheit der Roller im Straßenverkehr muss daher weitergehen.

Seitdem am 15. Juni 2019 die Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV) in Kraft getreten ist, darf man in Deutschland ab 14 Jahren Elektrotretroller mit Lenkstange im Straßenverkehr benutzen. Bei diesen Rollern handelt es sich um versicherungspflichtige Kraftfahrzeuge, die eine Betriebserlaubnis benötigen.

Elektrotretroller fallen zudem unter die EU-Maschinenrichtlinie. Zur Konkretisierung ihrer Schutzziele bei E-Rollern und anderen Elektroleichtfahrzeugen wird derzeit die zur Harmonisierung vorgesehene europäische Norm prEN 17128 (Nicht-Typ zugelassene leicht motorisierte Fahrzeuge für den Transport von Personen und Gütern und damit verbundene Einrichtungen – Persönliche leichte Elektrofahrzeuge (PLEV) – Sicherheitstechnische Anforderungen und Prüfverfahren) erarbeitet.

Viele Unfallrisiken

Allein in den ersten Wochen, in denen E-Scooter auf deutschen Straßen erlaubt waren, verzeichnete die Polizei viele Regelverstöße und Unfälle. Die Unfallkrankenhäuser in deutschen Großstädten meldeten zudem schwere Kopfverletzungen und Knochenbrüche als Folge von Unfällen mit den Rollern. Was vielen nicht bewusst ist: Für Fahrten mit Elektrotretrollern gelten in Deutschland dieselben Promillegrenzen wie beim Autofahren.

Als Unfallursache spielt neben Regelverstößen auch die Fahrphysik eine Rolle: Aufgrund des geringen Raddurchmessers sind E-Scooter beim Fahren über Unebenheiten oder in Kurven deutlich schwerer zu beherrschen als Fahrräder. Wegen ihrer schmalen Silhouette und ihres hohen Beschleunigungsvermögens können sie zudem leicht übersehen werden.

Wären die Roller mit Blinkern ausgestattet, was bisher nicht vorgeschrieben ist, könnte das Handzeichen vor dem Abbiegen entfallen und beide Hände immer fest am Lenker bleiben. Daher hat die Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) Blinker für Elektrokleinstfahrzeuge empfohlen, die im Stehen gefahren werden (Berichte der BASt F 125, 2018, S. 25f (pdf)). Auch in §5 (4) der Entwurfsfassung der eKFV für die Verbändeanhörung (pdf) war die verpflichtende Ausstattung einspuriger Fahrzeuge mit Blinkern vorgesehen.

Die Gestaltung der städtischen Infrastruktur ist ebenfalls sicherheitsrelevant: In der Regel sollen E-Scooter auf denselben Verkehrsflächen genutzt werden wie Fahrräder. Dadurch wird die Konkurrenz um den knappen Straßenraum und Radverkehrsanlagen weiter verschärft. Wer jedoch regelwidrig mit dem E-Roller auf dem Gehweg fährt, gefährdet zu Fuß Gehende. Zudem drohen nachlässig abgestellte oder umgefallene Roller zur gefährlichen Stolperfalle zu werden.

E-Scooter als Arbeitsmittel

Angestellte, die auf dem Weg zur Arbeit oder auf einem Dienstweg einen Elektrotretroller benutzen, sind über die gesetzliche Unfallversicherung abgesichert. Werden diese als betriebliches Fortbewegungsmittel genutzt, unterliegen sie der Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) und der Unfallverhütungsvorschrift Fahrzeuge (DGUV Vorschrift 70). Somit müssen Arbeitgeber den Einsatz der Roller in der Gefährdungsbeurteilung berücksichtigen und können dabei in einer Betriebsanweisung auch über die eKFV hinausgehende Sicherheitsmaßnahmen vorschreiben, z.B. eine Helmpflicht oder das Tragen retroreflektierender Kleidung und geeigneter Schuhe. Außerdem müssen Unternehmen ihre Angestellten in der Fahrzeugbedienung theoretisch und praktisch unterweisen und die Funktionstüchtigkeit der Roller ist regelmäßig zu überprüfen.

Mehr Daten zu E-Scootern nötig

Seit Januar 2020 werden Unfälle mit E-Scootern als eigene Kategorie in der Unfallstatistik erfasst. Daneben hat die BASt eine wissenschaftliche Begleitstudie (pdf) ausgeschrieben, die u.a. das Verhalten der E-Roller-Nutzenden im Straßenverkehr und die Auswirkungen der eKFV auf die Verkehrssicherheit genauer untersuchen soll. Der Abschlussbericht soll im vierten Quartal 2022 vorliegen.

Basierend auf den Ergebnissen dieser Evaluation soll laut §15 (4) eKFV die Verordnung gegebenenfalls überarbeitet werden. Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur müsste dann bis zum 1. September 2023 einen etwaigen Änderungsvorschlag vorlegen. Dabei sollte aus Sicht des Deutschen Verkehrssicherheitsrats der zentrale Maßstab sein, ob die Auswirkungen der Verordnung mit der Vision Zero vereinbar sind, das heißt mit dem Ziel, die Zahl der im Straßenverkehr schwer Verletzten und Getöteten auf null zu senken.

Tanja Hohenstein

THohenstein@dvr.de