KANBrief 3/14

KAN-Studie zu biomechanischen Belastungsgrenzen bei Mensch-Roboter-Interaktion

Menschen und Roboter sollen künftig enger zusammenarbeiten. Die Aufhebung der bisher aus Sicherheitsgründen üblichen räumlichen Trennung soll es ermöglichen, Arbeit zu erleichtern und ergonomischer zu gestalten. Auch mit hochmoderner Steuerungstechnik kann es aber zu ungewollten Zusammenstößen zwischen Personen und Robotern kommen, die sich einen Arbeitsbereich teilen. Für diese Fälle muss sichergestellt sein, dass die gesundheitlichen Folgen vernachlässigbar bleiben.

Wann sind Verletzungen so leicht, dass ihre Folgen vernachlässigbar sind, und wie lassen sich solche Beanspruchungen beschreiben? Lassen sich hierfür Belastungsgrenzen festlegen? Wenn ja, welche Anforderungen ergeben sich dadurch für die Konstruktion von Robotern? Insbesondere die letzte dieser Fragen möchte das für die Normenreihe ISO 10218 „Industrieroboter - Sicherheitsanforderungen“ zuständige ISO/TC 184/SC 2 beantworten. Der in der DGUV für das Themenfeld „Robotik“ federführende Fachbereich Holz und Metall arbeitet in diesem ISO-Komitee mit und hat in Zusammenarbeit mit dem IFA Forschungsaufträge vergeben und Empfehlungen zur Gefährdungsermittlung BGHM ausgesprochen.

Die KAN hat zur Lösung dieses aktuellen Normungsproblems vom Fraunhofer IFF in Magdeburg untersuchen lassen, welche Forschungsergebnisse und Grenzwerte seit 1945 in deutscher und englischer Sprache veröffentlicht wurden und inwieweit weiterer Forschungsbedarf besteht (Studienergenisse). Zudem hat sie Empfehlungen ausgesprochen, auf welche Weise leichte Verletzungen kategorisiert und biomechanische Belastungsgrenzen strukturiert werden könnten.

Wenige nutzbare Forschungsergebnisse verfügbar

Für die Recherche wurden 245 für die Zwecke der Studie erfolgversprechende Datenbanken und -bestände durchsucht. Daraus wurden 1036 Forschungsarbeiten auf ihre Relevanz bewertet. Aus 100 der im Einzelnen gesichteten Titel wurden konkrete Belastungs-Beanspruchungs- Relationen in eine Datenbank übernommen. Es zeigte sich allerdings, dass davon nur 37 für die Beurteilung des derzeitigen wissenschaftlichen Forschungsstandes zur mechanischen Risikobeurteilung von kollaborierenden Robotern relevant waren. Der Umfang an verfügbaren Forschungsarbeiten, die ggf. für Grenzwerte genutzt werden könnten, ist in diesem Bereich somit äußerst gering.

Kategorisierung der Verletzungsschwere

In der Maschinennormung bestehen bereits etablierte Verletzungsgrade S1 und S2, die dazu dienen, bei der Risikobewertung nötige Schutzmaßnahmen abzuleiten. Ein Vorschlag der Studie ist, in zukünftigen Normungsprojekten unterhalb von S1 und S2 zwei neue Kategorien S0 und H einzuführen. S0 könnte den Bereich leichter Verletzungen, die ohne medizinische Behandlung vollständig und folgenlos ausheilen, beschreiben. Zu diesen Verletzungen zählen ausschließlich Prellungen wie leichte Hämatome oder Schwellungen, bei denen es zu keiner Abschürfung oder Durchdringung der Oberhaut kommt. Eine konkrete Zuordnung der zugehörigen Verletzungen erfolgt auf Grundlage von Teil XIX der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD: International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, Teil XIX „Verletzungen, Vergiftungen und bestimmte andere Folgen äußerer Ursachen“). Diese eignet sich aufgrund ihrer Vollständigkeit und weltweiten Verbreitung am besten für die Beschreibung von Verletzungsbildern im Arbeitsschutz.

H sollte den Bereich „Harmlos“ unterhalb der Schmerzeintrittsschwelle umfassen. Damitwäre es möglich, Berührungen, die keinen Schmerz hervorrufen, für die Risikobewertung als unbedenklich einzustufen. Der Übergang von H zu S0 wäre durch die Schmerzeintrittsschwelle definiert. Schmerzforschung ist erforderlich, um diese Schwellenwerte zu ermitteln. In Normen darf aus Sicht der KAN allerdings für die Einteilung und Abgrenzung von Schadensschwerekategorien dann nicht vom Schmerz als Kriterium ausgegangen werden, sondern von den hierfür wissenschaftlich abgeleiteten biomechanischen Belastungswerten.

Die Aufnahme dieser Anregungen und Überführung in die Normung obliegt den Normungsgremien, z.B. ISO TC 184 „Automatisierungssysteme und Integration“ und ISO TC 199 „Maschinensicherheit“.

Strukturierung biomechanischer Belastungsgrenzen

Es ließen sich keine physikalischen Größen ermitteln, mit denen sich biomechanische Belastungen allgemein und sinnvoll für alle denkbaren Beanspruchungen und Körperstellen begrenzen lassen. Die ausschlaggebenden Belastungsgrößen und deren Kombinationen sind für zahlreiche Beanspruchungen nicht bekannt. Als erster Schritt wurde in der Studie dennoch ein Konzept erarbeitet, mit dem sich in einem Koordinatensystem für bis zu drei wertemäßig vorliegende Einflussgrößen oder Parameter die zu erwartende Beanspruchung ablesen lässt.

Corrado Mattiuzzo
mattiuzzo@kan.de