KANBrief 1/18

Datenbrillen auf dem Weg in die Arbeitswelt – ­Regulierung und Normung ist gefragt

Datenbrillen an Arbeitsplätzen sind keine Science-Fiction mehr. Wurden die Geräte bis vor kurzem noch als Zukunftsprojekt der kalifornischen Tech-Szene gefeiert (oder verlacht), so finden sie sich zwischenzeitlich an Lagerarbeitsplätzen ebenso wie in der Fertigung und Instandhaltung. Die Forschung zum sicheren Gebrauch der Geräte fällt jedoch hinter die Technikentwicklung ebenso zurück wie das auf gesicherte Erkenntnisse angewiesene Regelwerk und seine Anforderungen.

Bei Datenbrillen (head mounted displays, HMD) handelt es sich um kopfgetragene Minicomputer. Die Interaktion mit den Geräten erfolgt durch Gesten- und Sprachsteuerung, die Bildausgabe über winzige Monitore bzw. Prismen. Diese Ausgabegeräte werden vor dem Auge positioniert, entweder beidseitig (binokular) oder einseitig (monokular). HMDs interagieren mittels Sensoren autonom mit ihrer Umwelt und blenden kontextspezifische Informationen, z.B. das Drehmoment einer Verschraubung, ins Sichtfeld ein. Diese erweiterte Realität (augmented reality) führt zu neuartigen Arbeitsszenarien.

Ein Anwendungsbeispiel: Lagerlogistik

Pick by vision steht für den Datenbrilleneinsatz in der Kommissionierung. Verbreitete sprachgestützte Systeme (pick by voice), die Informationen zum Ein- und Auslagern über automatisierte Sprachbefehle an die Beschäftigten übermitteln, können nun durch visuelle Einblendungen abgelöst werden. Dabei werden komplexere Informationen übermittelt, und die Sensorik der Geräte dokumentiert den Prozess automatisch. Die Hände bleiben frei und bislang personengebundenes Wissen wird an das digitalisierte Arbeitssystem übertragen. Beinahe fantastisch anmutende Produktivitätssteigerungen (Arbeitsverdichtung durch reduzierte Totzeiten) und Kosteneinsparungen (Einsatz ungelernter Kräfte durch die technische Assistenz) werden aus diesem Tätigkeitsfeld gemeldet. Sollte sich dies bewahrheiten, wird sich die weitere Verbreitung rasant vollziehen.

Gefährdungslage und Belastungssituation

Offensichtliche Gefährdungen beim Einsatz der neuen Technik liegen in der Ablenkung sowie der allgemeinen psychischen und physischen Belastung. Forschungsprojekte des Instituts für Arbeitsschutz der DGUV (IFA) klären die Gefährdung beim Einsatz von Datenbrillen bei der Bedienung von Flurförderzeugen (in Zusammenarbeit mit der BGHW). Auch die Frage der Muskel-Skelett-Belastungen wird behandelt. Geprüft wird außerdem, ob ein Einsatz für den Arbeitsschutz sinnvoll ist, zum Beispiel bei Sicherheitschecks zur Inbetriebnahme von komplexen Maschinen.

Die BAuA untersucht in Labor- und Feldstudien die Auswirkungen und geeignete Bedingungen zum Technikeinsatz und publiziert Empfehlungen dazu (Head-Mounted Displays – Arbeitshilfen der Zukunft. Bedingungen für den sicheren und ergonomischen Einsatz monokularer Systeme. BAuA, 2016). Unbeantwortet bleiben die Fragen nach neurologischen Fehlbelastungen durch die Anzeige auf nur einem Auge, nach den Folgen eines Dauereinsatzes über ganze Arbeitsschichten und nach den Konsequenzen der psychischen Fehlbelastungen durch Fremdbestimmung, Verdichtung der Arbeit und soziale Isolation.

Regulierung und Normung ist gefragt

Die Arbeitsstättenverordnung macht eine klare Vorgabe zur ortsveränderlichen Nutzung neuartiger Bildschirmgeräte: Geräte, die keine Trennung mehr zwischen Eingabemittel und Bildschirm aufweisen „dürfen nur an Arbeitsplätzen betrieben werden, an denen die Geräte nur kurzzeitig verwendet werden oder an denen die Arbeitsaufgaben mit keinen anderen Bildschirmgeräten ausgeführt werden können.“ (ArbStättV, 6.4). Der Gesetzgeber mag hier vor allem an Tablet-PCs gedacht haben, doch HMDs erfüllen die benannten Kriterien ebenfalls und dürften folglich nicht dauerhaft eingesetzt werden. Schon gar nicht, da die zu verrichtenden Tätigkeiten in der Regel sehr wohl mit anderen, mitunter ergonomischeren Arbeitsmitteln zu erledigen wären. Das verlangt nach expliziter Klärung, an der sich auch die Arbeitsschutzforschung zu orientieren hat.

Die Normung ist spezifizierend gefragt, um den Wildwuchs der Geräteklassen zu flankieren und Anforderungen an die Anwendungsqualität der Technik festzulegen. Der noch junge Arbeitsausschuss „Industrie 4.0“  des DIN-Normenausschusses Ergonomie hat es sich zur Aufgabe gemacht, auch die Datenbrille zu behandeln.

Fest steht: Die Berücksichtigung des Arbeitsschutzgesetzes muss als eigentlich doch selbstverständliche Grundlage eingefordert werden. Arbeit ist zuvorderst menschengerecht zu gestalten. Jeder noch so schöne Schein neuer Technologien aus kalifornischen „Denkfabriken“ (die Richtung des Denkens ist dem Begriff bereits implizit), hat dem nachzustehen!

Dr. Michael Bretschneider-Hagemes
Leiter des Arbeitnehmerbüros der
KAN-Geschäftsstelle

bretschneider@kan.de