KANBrief 4/18

„Roboter können keine Prozesse verbessern.“ ­Pragmatischer Einsatz von Robotern bei Toyota

Im Ausland genießt Japan generell den Ruf, Vorreiter bei der Roboterisierung zu sein. Nicht nur verfügt die japanische Industrie über die größte Anzahl installierter Roboter weltweit, auch im Alltag finden sie mittlerweile an vielen Orten Verwendung. Einige der erfolgreichsten Unternehmen Japans pflegen jedoch einen differenzierten Umgang mit Robotern, allen voran das Vorzeigeunternehmen der japanischen Industrie, die Toyota Motor Corporation.

„Roboter können keine Prozesse verbessern. Das können nur unsere Mitarbeiter“. Dieser von Führungskräften oft zitierte Ansatz stammt aus der Historie Toyotas. Mitte der achtziger Jahre hatte das Unternehmen mit einem akuten Arbeitskräftemangel zu kämpfen und startete ein Experiment im Werk Tahara: Alle Montagestationen mit schweren Bauteilen wurden automatisiert und aus Gründen der Arbeitssicherheit hermetisch abgeschottet.

Die Anzahl der Beschäftigten in der Produktion konnte so deutlich reduziert werden. Allerdings war eine große Anzahl Techniker vor Ort erforderlich, um die Verfügbarkeit der aufwendigen Technik zu gewährleisten. Eine Kennzahl signalisierte ganz besonders, dass die gewählte Vorgehensweise nicht zukunftsweisend war: Die Anzahl der Hinweise von Mitarbeitern auf mögliche Verbesserungen sank dramatisch. Der Grund lag auf der Hand: Nur wenige Beschäftigte führten die automatisierten Abläufe selbst durch oder beobachteten sie zumindest.

Die Erfahrungen aus Tahara führten schließlich zu einem neuen Konzept für die Endmontage. Es wurde nun eine optimale Kombination von Beschäftigten und Automatisierung angestrebt und dabei die Ergonomie in den Vordergrund gestellt. Für alle körperlich schweren Tätigkeiten wurden ausgeklügelte Unterstützungsmittel bereitgestellt, die oft auf Vorschlägen der Beschäftigten beruhten. Taktzeiten von ca. einer Minute und der hohe Fokus auf Wertschöpfung bedingen im Toyota-Produktionssystem kurzzyklische repetitive Tätigkeiten. Mit dem neuen Konzept wurde wirkungsvoll verhindert, dass diese sich negativ auf die Gesundheit der Beschäftigten auswirkten.

Der Mensch bleibt der entscheidende Faktor

Seit dieser Erfahrung hat sich Toyota eine gesunde Skepsis gegenüber der Automatisierung bewahrt. Bereits roboterisierte Prozesse werden teils sogar wieder auf manuelle Tätigkeiten umgestellt. In der neuen Produktionsphilosphie „Toyota New Global Architecture“ werden Roboter als Befähiger für die Beschäftigten angesehen und übernehmen vor allem schwere und gefährliche Tätigkeiten.

Solange Roboter ihre Prozesse nicht selbst verbessern können, sieht Toyota die menschliche Intelligenz als entscheidenden Wettbewerbsvorteil an. Ein Beispiel ist die Herstellung des Rahmens des Toyota Land Cruiser. Dieser wird aus mehreren U-förmigen Stahlprofilen geschweißt. Der roboterisierte Prozess wies jedoch fehlerhafte Schweißnähte auf, so dass drei Mitarbeiter manuell nachschweißen mussten. Die Roboterlinie wurde daraufhin zunächst abgeschaltet und der Schweißvorgang manuell durchgeführt.

Dabei erkannten die Mitarbeiter die Ursache des Problems: Die Rahmenteile hatten unterschiedlich große Abstände zueinander. Der Roboter orientierte sich immer am größeren Abstand, während die Mitarbeiter beim Schweißen auf die Abweichungen reagierten: bei kleinen Abständen schnell und geradlinig, bei größeren Abständen mit einer Zickzack-Bewegung. Diese Vorgehensweise führte zu sauberen Schweißnähten, einer geringeren Wärmezufuhr und damit auch zur Vermeidung von Verformungen im Rahmen. Zusätzlich ging der Verbrauch von Schweißdraht um zehn Prozent zurück. Auf das Nachschweißen konnte vollständig verzichtet werden. Schließlich wurde der verbesserte manuelle Prozess wieder zurück auf die Roboter übertragen.

Nach dem Verständnis von Toyota hätten Roboter niemals eine derartige Verbesserung selbst durchführen können. Die Philosophie ist hier, dass nicht Ingenieure die Roboter anlernen, sondern die Mitarbeiter, die einen bestimmten Prozess am besten kennen.

Vertrauen in die Fähigkeit von Mitarbeitern, bestehende Ansätze noch weiter zu verbessern. Aufrechterhalten von Monozukuri – Handwerkskunst – als Wettbewerbsvorteil. Vorsichtiger und pragmatischer Einsatz von Robotern dort, wo es betriebswirtschaftlich Sinn macht und der Arbeitssicherheit und Ergonomie dient. Anleitung der Roboter durch Mitarbeiter, ausgehend von dem aktuell besten, sichersten und am wenigsten belastenden Standard-Arbeitsablauf der manuellen Tätigkeit: Dies ist zusammenfassend die Philosophie Toyotas beim Einsatz von Robotern.

Hans-Jürgen Classen

classen@aimsjapan.co.jp