KANBrief 4/18

Japanische Arbeitskultur – Ein Überblick

Der Arbeitgeberverband Südwestmetall organisiert für Interessenten aus seinem Umfeld seit Jahren Studienreisen nach ­Japan. Ziel ist es, einen Blick über den Tellerrand zu werfen und innovative Unternehmenssysteme japanischer Spitzenunternehmen vorzustellen. Ein Mitarbeiter der KAN-Geschäftsstelle war unter den Reiseteilnehmern und berichtet: Worin unterscheidet sich die japanische Arbeitskultur von der deutschen? Welchen Stellenwert besitzt der Arbeitsschutz in Japan?

Die japanische Kultur ist stark hierarchisch geprägt. Freundlichkeit und Höflichkeit spielen eine wesentliche Rolle – zu Hause wie im Beruf. Japanische Unternehmen unterscheiden zwischen direkten Mitarbeitern, denen eine Beschäftigung im Unternehmen bis zum Renteneintrittsalter zugesichert wird, und indirekten Mitarbeitern, die dieses Privileg nicht haben. Der Anteil indirekter Mitarbeiter liegt bei bis zu 50%. Auch in Japan haben Unternehmen aufgrund des demographischen Wandels Probleme, neue Mitarbeiter zu gewinnen. Das Abwerben von Beschäftigten gehört zunehmend zum Alltag, und Unternehmen versuchen, mit attraktiven Zusatz­angeboten zu punkten.

Das Toyota-Produktionssystem (TPS)

Japanische Spitzenunternehmen leben das Toyota-Produktionssystem (TPS). Alle Mitarbeiter, ob mit oder ohne Universitätsabschluss, beginnen ihre Laufbahn in der Produktion. So lernen sie Unternehmensprozesse und –kultur kennen und verinnerlichen sie.

Das TPS ist für viele Unternehmen nicht nur ein Produktionssystem, sondern eine Philosophie, die jeden Tag gelebt wird. Ziel ist es, ein Produkt nicht nur nach individuellen Kundenwünschen herzustellen, sondern dies fehlerfrei, in geforderter Qualität und innerhalb von Sekunden zu bewerkstelligen. Solange dieser Zustand nicht erreicht ist, wird versucht, die Prozesse ständig schrittweise zu verbessern. Wesentliches Element ist dabei die KAIZEN-Philosophie (= Wandel zum Besseren). Kreative Energie und Motivation entstehen dadurch, dass den Mitarbeitern jeden Tag verdeutlicht wird, dass der Prozess zwar verbessert wurde, der Idealzustand aber noch nicht erreicht ist.

Vorgesetzte fördern kreative Energie und Motivation dadurch, dass sie die Mitarbeiter loben und sich bedanken, wenn diese z. B. über eine Prozessabweichung informieren. So kann nach den Ursachen gesucht und eine dauerhafte Lösung gefunden werden. Vorgesetzte kennen die Prozesse genauestens und achten auf die Einhaltung der definierten Standards. Somit nehmen sie eine entscheidende Vorbildfunktion ein und sind jederzeit in der Lage, Hilfestellung zu leisten.

Digitalisierung, wo das Auge hinfällt?

In Japan ist man der Überzeugung, dass in digi­taler Form nicht besonders gut gelernt werden kann. Physische Elemente wie sogenannte „Kanban“ (= Karten) sind in der Produktion häufig zu finden. Über diese Karten wird die ­Bereitstellung von neuem Material gesteuert und der Lagerbestand gering gehalten.

„Industrie 4.0“ ist in Japan kein unbekannter Begriff. Jedoch wird die Datensicherheit als noch nicht gelöstes Problem angesehen und es besteht die Befürchtung vor ungewolltem Abfluss von Know-How. Im TPS spielt der Mensch eine wesentliche Rolle, da nur er den Prozess täglich im Rahmen des KAIZEN verbessern kann und flexibel genug ist, Änderungen schnell umzusetzen. Somit ist es für japanische Unternehmen, die das TPS leben, keine Option, den Menschen aus den Prozessen zu eliminieren.

Die Rolle des Arbeitsschutzes

Die Führungskraft nimmt in japanischen Unternehmen eine entscheidende Rolle für den Arbeitsschutz ein. Sie ist verantwortlich dafür, dass die Mitarbeiter gesund ins Rentenalter eintreten und lebt das angestrebte Verhalten vor. Zusätzlich werden je nach Bereich oder Unternehmen weitere Maßnahmen eingeführt. So steht beispielsweise bei Toyota ein symbolisches grünes Tor vor dem Eingang zum Produktionsbereich. Es soll bei den Mitarbeitern ein Bewusstsein dafür schaffen, sich ab der Durchquerung besonders aufmerksam im Hinblick auf mögliche Gefahren zu verhalten. Fahrer von Logistikfahrzeugen betätigen vor dem Losfahren nicht nur die Hupe, sondern zeigen mit der Hand in verschiedene Richtungen und versichern sich, dass sich niemand im Aktionsradius befindet und gefährdet werden könnte.

Abschließend sei angemerkt, dass die japanische Arbeitskultur auch ihre Schattenseiten hat: Unzählige Überstunden sind nur ein Grund dafür, dass der Druck in der japanischen Arbeitswelt sehr hoch ist und zu hohen Suizidraten führt. Nichtsdestotrotz kann man sich von Japan inspirieren lassen und Prozesse kontinuierlich verbessern – egal in welcher Branche

Sebastian Korfmacher