KANBrief 4/18

Neue Entwicklungen heißt neue Herausforderungen meistern

Peer-Oliver Villwock (POV), Leiter der Unterabteilung Arbeitsschutz im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), und Dr. Thomas Zielke (TZ), Leiter des Referats Technologietransfer, Normen, Standards, Patente im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) erläutern an Beispielen, welche neuen Herausforderungen derzeit in einem sich rasch wandelnden Umfeld auf Arbeitsschutz und Normung zukommen.

Die Initiative „Rettet den New Approach“ macht von sich reden. Was ist darunter zu verstehen?

TZ: Es handelt es sich um eine Initiative der Wirtschaft, die – wie wir auch – eine funktionierende Normung als essentiell für den Binnenmarkt versteht und einige Fehlentwicklungen bei der Ausführung der Normungsverordnung durch die EU-Kommission thematisieren will. Konkret geht es unter anderem um eine als unangemessen empfundene Prüfungstiefe auf die Richtigkeit neuer Normen, die die EU-Kommission für sich in Anspruch nimmt und sich dabei – nicht immer belastbar – auf die EuGH-Rechtsprechung beruft. Auch werden schleppende Verfahren bei der Listung neuer Normen im Amtsblatt der EU sowie unflexible Vorschläge der Kommission für neue Normungsmandate kritisiert. Andererseits sei die personelle Ausstattung der Kommissionsdienststellen, gemessen am eigenen Anspruch, unzureichend. Das BMWi teilt einige dieser Bedenken und wird sich engagieren, Fehlentwicklungen in Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedstaaten und der EU-Kommission zu thematisieren und zu korrigieren.

Schnelle Normungsdokumente nehmen Fahrt auf. Wie steht es um die ausreichende Beteiligung der interessierten Kreise?

TZ: Die Entwicklung der DIN SPEC (PAS) ist, meine ich, primär eine normungspolitische und technische Reaktion des DIN auf immer kürzere Produktzyklen und die Beschleunigung der technologischen Entwicklungen, gerade im Digitalbereich. Hinzu kommt, dass Anwender heute die Standardsetzung quasi in Echtzeit verlangen.

Normungsorganisationen sind selbständige Einrichtungen, die im Wesentlichen für ihre eige­ne Finanzierung sorgen müssen und daher auch neue Geschäftsmodelle entwickeln dürfen und sollen. Die Bundesregierung ist hier lediglich als Beobachter und Partner des Normungsvertrages gefragt. DIN SPEC (PAS) können ein weiterer Beitrag sein, um auch international schnell auf neue technische Entwicklungen mit Standards „made in Germany“ reagieren zu können. Schnelle Normungsdokumente unterliegen jedoch auch Mindesterfordernissen bei der Beteiligung. Transparente Verfahren müssen hier gewährleistet sein.

Wie kann Normung den Wandel der Arbeitswelt im Sinne des Arbeitsschutzes unterstützen?

POV: Im Weißbuch Arbeiten 4.0 hat das BMAS ein Leitbild für gute Arbeit im digitalen Wandel entwickelt. Es wurden viele Möglichkeiten, aber zum Teil auch Risiken aufgezeigt. Für mich wird immer deutlicher, dass z. B. die Aspekte von safe­ty and security, also das Zusammenspiel von Produkt- und IT-Sicherheit, ganzheitlich und einschließlich einer sicheren Mensch-Computer-Interaktion betrachtet werden müssen. Auch Produktsicherheit und betrieblicher Arbeitsschutz greifen bei den neuen Technologien zunehmend ineinander, entwickeln immer mehr Schnittstellen. Hier bieten sich Chancen, über die Normung Aspekte von Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit schon in einem sehr frühen Stadium in die Entwicklungsprozesse einzuspeisen.

Welche Aufgaben sehen Sie vor diesem Hintergrund für die KAN?

POV: Seit 1994 ist die KAN die nationale Clearingstelle an der Schnittstelle von Normung und betrieblichem Arbeitsschutz. Die KAN beobachtet, informiert und interveniert als neutraler Akteur, sie vereint unterschiedliche Sichtweisen von Staat, Unfallversicherung und Sozialpartnern. Gerade angesichts von disruptiven Innovationen bleibt die Einbeziehung von möglichst vielen Blickwinkeln das Gebot der Stunde.

Die Normung reagiert auf die verkürzten Inno­vationszyklen mit beschleunigten Prozessen wie dem Projekt 18.0 oder neuen Normungsprodukten wie DIN SPEC. Diese müssen die Beteiligung der interessierten Kreise sicherstellen. Hinzu kommt, dass die Grenze zwischen Beschaffenheit und Betrieb zunehmend verschwimmt. Das stellt die KAN vor neue Herausforderungen. Sie wird verstärkt eine Mittlerrolle zwischen technischem Regelwerk und Normung einnehmen müssen – und dies nicht nur national, sondern verstärkt auch durch direkte Mitarbeit in den europäischen und internationalen Normungsgremien. Über die europäische und internationale Normung werden wir zunehmend mit Themen konfrontiert, die in Deutschland klassischerweise außerhalb der Normung geregelt sind. Damit müssen wir uns auseinandersetzen, und das zu einem möglichst frühen Zeitpunkt.