KANBrief 4/22

Grenzen der Normung: DIN 820-1 wurde aktualisiert

Die Normenreihe DIN 820 „Normungsarbeit“ legt alle wesentlichen Spielregeln der Normungsarbeit in Deutschland fest. Nach der jüngsten Überarbeitung enthält Teil 1 nun auch explizite Vorgaben, welche Inhalte und Aspekte nicht genormt werden sollen.

Bei der Normenreihe DIN 820 handelt es sich um Normen für die Normung. Sie ist daher für die Normung insgesamt von großer Bedeutung. So sind dort in verschiedenen Dokumenten unter anderem die Gestaltung von Normen, Begriffe und der Geschäftsgang der Normerarbeitung geregelt. Der zuständige Normenausschuss für die Erarbeitung der Normungsregeln ist der NAGLN Grundlagen der Normungsarbeit.

Insbesondere die DIN 820-1 „Normungsarbeit – Teil 1: Grundsätze“ bestimmt die Arbeit von deutschen Normungsgremien wie wohl keine andere Norm. Sie wurde von 2020 bis 2022 turnusgemäß überarbeitet und ist im November 2022 neu veröffentlicht worden. In der Norm werden beispielsweise die Organisation der Normungsarbeit mit den beteiligten Organisationen und der Aufbau von DIN-Normenausschüssen mit den verschiedenen Arbeitsausschüssen und deren Zuständigkeiten erklärt. So gibt es auch Vorgaben für die Zusammensetzung der Gremien und für die Autorisierung zur Mitarbeit entsandter Experten. Ferner ist festgelegt, wie sich das deutsche Normenwerk in seiner Gesamtheit zusammensetzt, nämlich aus national von DIN erarbeiteten Normen und von DIN übernommenen Normen europäischer und internationaler Normungsorganisationen.

Was soll genormt werden und was nicht

In Abschnitt 7 der DIN 820-1 wird beschrieben, wie Normen erarbeitet werden. Ausgehend von einer tiefgehenden Diskussion über die Wirkungen und Konsequenzen, auch die zivil- und strafrechtliche Bedeutung von Normen, wurde entschieden, dass das Kapitel 7 einer Umgestaltung bedarf. Besonders der Abschnitt 7.2, welcher die Grenzen der Normung beschreibt, ist völlig neu. Diese Entwicklung begrüßt die KAN ausdrücklich, da nun festgehalten ist, welche Inhalte und Aspekte sich für die Normung eignen und welche ausgenommen werden sollten. Die KAN-Geschäftsstelle hat sich im Hinblick auf die Arbeitsschutzrelevanz umfänglich an der Überarbeitung beteiligt und inhaltliche Vorschläge im Normungsgremium eingereicht.

Das Resultat ist eine deutliche Umstrukturierung des Kapitels 7, bei dem die Grenzen der Normung als zweiter Abschnitt direkt am Anfang des Kapitels stehen. Es werden nun drei explizite Bereiche genannt, in denen keine Normung stattfinden soll:

  • Gesetzgebung und politische Entscheidungen relevanter Institutionen, sei es auf Landes-, Bundes- oder EU-Ebene. Gesetze und Verordnungen, aber auch das Regelwerk von gesetzlich eingerichteten Kammern und Organen der Selbstverwaltung, haben immer Vorrang vor Normen.
  • Inhalte, die in Deutschland zum Gestaltungsbereich der Sozialpartner gehören. Das Grundrecht der Tarifautonomie aus Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz sichert den Sozialpartnern eine herausgehobene Regelungskompetenz zu, damit sie bestimmte arbeits- und sozialpolitische Aufgaben autonom wahrnehmen können.
  • Normen dürfen keine ethischen Werte festlegen, sondern nur wie diese – z. B. bei künstlicher Intelligenz – technisch umgesetzt werden. Religiöse und weltanschauliche Werte dürfen in Normen gar nicht behandelt werden.

Normen oder Normungsvorhaben mit solchen Inhalten sollen weder initiiert noch entsprechende Vorgänge auf internationaler Ebene unterstützt werden. Auch bei der Erarbeitung von Normen, deren Anwendungsbereich nicht explizit solche Inhalte einschließt, muss ein Konflikt mit den genannten Bereichen ausgeschlossen werden.

Die Neufassung der DIN 820-1 läutet zumindest für die deutsche Normung ein neues Kapitel ein, da sich die Normung nun erstmals eigene Grenzen setzt, innerhalb derer sie sich zukünftig bewegen darf. Da der überwiegende Teil der Normungsarbeit aber nicht mehr auf nationaler, sondern auf europäischer und internationaler Ebene stattfindet, wäre es wünschenswert, wenn diese Prinzipien auch dort festgeschrieben würden.

Freeric Meier
meier@kan.de