KANBrief 3/21

„Wandel, Prävention und Vorsorge“

Neuer EU-Arbeitsschutzrahmen 2021-2027 soll mit dem digitalen und grünen Wandel verbundene Risiken für Beschäftigte begegnen helfen

„Die Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle in der EU zwischen 1994 und 2018 hat sich um 70 % reduziert. Trotz dieses Fortschritts gab es im Jahr 2018 in der EU noch über 3300 tödliche Arbeitsunfälle und 3,1 Mio. nicht tödliche Arbeitsunfälle. 200.000 Beschäftigte sterben außerdem jedes Jahr durch arbeitsbezogene Krankheiten.“

Mit diesen eindrücklichen Zahlen präsentierte die EU-Kommission am 28. Juni 2021 den neuen strategischen Rahmen für die Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz 2021–2027, mit dem EU-Institutionen, Mitgliedstaaten und Sozialpartner mobilisiert werden sollen, gemeinsame Prioritäten im Arbeitsschutz umzusetzen.

Drei große Ziele: Wandel, Prävention und Vorsorge

Der „grüne, digitale und demographische Wandel“ der Arbeitswelt ist das Hauptthema der neuen Strategie. So soll sichergestellt werden, dass der „grüne Übergang“, also die Vorbereitungen der EU auf eine CO2-neutrale Zukunft, nicht zu Lasten der Gesundheit der Beschäftigten geht. Die im Rahmen des „European Green Deal“ geplante EU-Renovierungswelle soll die Gebäude in Europa energieeffizienter machen, wird aber gleichzeitig ohne Zweifel Bauarbeiter vermehrt Asbest aussetzen. Aus diesem Grund kündigt die Kommission nun verringerte Grenzwerte in der Richtlinie über Asbest für das Jahr 2022 an. Für Blei oder Kobalt, die in Technologien zur Gewinnung erneuerbarer Energien und in Lithium-Batterien verwendet werden, sollen ebenfalls Grenzwerte überprüft bzw. neu etabliert werden. Dazu soll 2022 die Richtlinie über chemische Arbeitsstoffe sowie 2024 die Richtlinie über Karzinogene und Mutagene angepasst werden.

Was die fortschreitende Digitalisierung der Arbeit und ihre Risiken für die Arbeitswelt betrifft, so verweist die EU-Kommission unter anderem auf ihre Vorschläge für eine Verordnung über Maschinenprodukte und eine zur künstlichen Intelligenz. Mit besonderem Nachdruck greift sie aber vor allem das bisher häufig vernachlässigte Thema der psychischen Gesundheit der Beschäftigten auf. Auch unabhängig von der Corona-Krise fordert und überfordert die Digitalisierung am Arbeitsplatz unsere Psyche häufig auf vielfältige Weise. Deshalb kündigt die Kommission eine EU-Initiative an, die bis Ende 2022 durch digitale Arbeit entstehende psychische Probleme von Beschäftigten bewerten und Leitlinien für Maßnahmen vorschlagen soll. Zudem will die EU-Kommission sicherstellen, dass die Forderung des Europäischen Parlaments nach einem „Recht abzuschalten“, also nicht immer erreichbar sein zu müssen, aufgegriffen wird. Die Sozialpartner werden aufgefordert, ihre Vereinbarungen hinsichtlich der psychosozialen und ergonomischen Risiken des digitalen Arbeitens bis 2023 zu aktualisieren. Darüber hinaus kündigt die EU-Kommission an, bis 2023 die Richtlinien über Arbeitsstätten und Bildschirmgeräte zu überarbeiten, um neuen technologischen Entwicklungen sowie den Bedürfnissen älterer Beschäftigter besser gerecht werden zu können.

„Prävention“ ist und bleibt ein Kernthema der Arbeitsschutzstrategie. Mehr Untersuchungen der Arbeitsunfälle, mehr Aufklärung der Beschäftigten und letztlich die strengere Durchsetzung der Arbeitsschutzregelungen sollen helfen, das ehrgeizige Ziel der „Vision Zero“ zu erreichen. Die arbeitsbedingten Risiken für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Muskel-Skelett-Erkrankungen seien nach wie vor weder ausreichend erforscht noch ausreichend im Bewusstsein von Beschäftigten und Arbeitgebern verankert. Beim Umgang mit gefährlichen medizinischen Produkten oder Chemikalien wie reprotoxischen Substanzen sei ebenfalls mehr Aufklärung und Fortbildung der Beschäftigten nötig. So kündigt die Kommission für 2022 auch aktualisierte Leitlinien sowie die Überarbeitung der EU-Regeln für Gefahrstoffe an, um insbesondere reproduktive Erkrankungen, Atemwegserkrankungen und vor allem Krebs, die Hauptursache für arbeitsbedingte Todesfälle in der EU, effektiver vermeiden zu können.

Unter der dritten Überschrift „Vorsorge für künftige Krisen“ skizziert die Kommission ein Notfallverfahren für künftige potenzielle Gesundheitskrisen, insbesondere einen Mechanismus, nach dem Mitgliedstaaten der Kommission das Auftreten von krisenbedingten Gesundheitsgefährdungen am Arbeitsplatz sowie entsprechende nationale Arbeitsschutzpläne melden.

Im Jahr 2023 wird die Kommission mit allen beteiligten Kreisen eine Zwischenbilanz ziehen und gegebenenfalls Anpassungen des Rahmens auf den Weg bringen.

Angelika Wessels
wessels@kan.de