KANBrief 3/21

EU-Gesetzgebungsverfahren und Einflussmöglichkeiten

Die Themen Arbeitsschutz und Produktsicherheit werden inzwischen stark von der europäischen Gesetzgebung geprägt. Aber wie genau läuft so ein Gesetzgebungsverfahren auf EU-Ebene eigentlich ab und wie kann man sich als Interessenvertretung dazu einbringen?

Europäische Gesetzgebung entsteht im Zusammenspiel zwischen der EU-Kommission, dem Europäischen Parlament (EP) und den im Rat der EU organisierten Mitgliedstaaten. Damit die gesetzgeberische Arbeit nicht „im Elfenbeinturm“, also fernab der Realitäten der Anwendenden, stattfindet, müssen sich Interessengruppen mit ihrer Expertise aus der Praxis an geeigneter Stelle in den Prozess einbringen können. Diese Möglichkeiten gilt es für jedes einzelne Verfahren herauszufinden und zu nutzen. Ein EU-Gesetzgebungsverfahren läuft dabei üblicherweise wie folgt ab:

Der Gesetzesvorschlag wird von der EU-Kommission nach umfassenden Konsultationen der betroffenen Kreise sowie der Öffentlichkeit ausgearbeitet. Diese Konsultationen bieten also erste Möglichkeiten der Einflussnahme schon vor der Erstellung des Vorschlags. Mit der Übermittlung des Textes an Rat und Parlament sind diese dann am Zug. Sie arbeiten mittlerweile in der Regel als gleichberechtigte Gesetzgeber eng zusammen, d.h. sie müssen sich am Ende auf einen Text einigen.

Im Rat beugen sich die Vertreterinnen und Vertreter der Mitgliedstaaten in Arbeitsgruppen unter Leitung der wechselnden Ratspräsidentschaft zusammen über die Texte und erarbeiten ihre Position. Parallel dazu werden im Europäischen Parlament die relevanten Fachausschüsse mit der Erarbeitung der Parlamentsposition betraut. Die politische Zusammensetzung der Ausschüsse spiegelt die des
Plenums der insgesamt 705 Europaabgeordneten wider. Was die Themen Arbeitsschutz und Normung betrifft, so sind von den 20 ständigen Fachausschüssen zwei fachlich ganz besonders relevant: der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz, der unter anderem für Normung zuständig ist, sowie der Ausschuss für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten, der für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz verantwortlich ist.

Die Facharbeit geschieht im Ausschuss

Die sieben Fraktionen benennen jeweils ein Parlamentsmitglied aus ihren Reihen, das das Thema im Ausschuss federführend mit bearbeitet. Dabei übernimmt ein Mitglied einer Fraktion die Führung. Dieser sogenannte „Berichterstatter“ verfasst zunächst einen Berichtsentwurf, in dem die Vorschläge der Kommission abgeändert werden. Er oder sie muss die Mehrheiten für die Änderungsvorschläge zum einen in der eigenen Fraktion, zum anderen im Ausschuss und zum Schluss auf Plenarebene organisieren. Was auf nationaler Ebene durch die Regierungsmehrheit quasi gesetzt ist, bedeutet auf EU-Ebene oft harte Überzeugungsarbeit durch den Berichterstatter. Er oder sie steht auch im Fokus sämtlicher Interessengruppen, die alle gerne über die möglichen Folgen des Vorschlags für „ihre Sache“ ins Gespräch kommen und ihre Argumente vortragen möchten. Sich als wertvoller Gesprächspartner für die Abgeordneten mit der passenden Expertise und zum richtigen Zeitpunkt einzubringen, ist jedes Mal wieder die große Herausforderung für jede Interessengruppe.

Der Ausschuss trifft sich meist mehrere Male zu Diskussionen. Dies geschieht öffentlich. Dabei steht die Kommission für Fragen zur Verfügung und kommentiert die Debatte der Abgeordneten. Zudem können Anhörungen mit Fachleuten organisiert werden. Liegt der Berichtsentwurf vor, so steht es neben den sogenannten „Schattenberichterstattern“ der sechs anderen Fraktionen allen Abgeordneten des Ausschusses offen, Änderungsanträge einzureichen. Dann ist es schließlich am Berichterstatter, Kompromisse zu verhandeln und im Ausschuss eine Mehrheit für den „Bericht“ herbeizuführen. Wird der Text danach im Plenum angenommen, so hat das Parlament damit seinen Standpunkt festgelegt.

Gesellschaftliche Probleme zügig, aber gründlich lösen

Eine solche „Lesung“ wird je nach Art des Verfahrens und in Abhängigkeit davon, ob mit dem Rat eine Einigung erzielt werden konnte oder nicht, einmal oder mehrmals wiederholt. So jedenfalls die graue Theorie: Seit den 90er Jahren darf das Verfahren bereits in erster Lesung abgeschlossen werden, um zeitnah Antworten auf gesetzgeberisch zu lösende gesellschaftliche Probleme geben zu können. Mittlerweile ist es sogar Standard, dass Parlament, Rat und EU-Kommission ihre Verhandlungen in sogenannten informellen Trilogen durchführen, häufig bevor die erste Lesung überhaupt abgeschlossen ist. Einigt man sich dort auf einen gemeinsamen Text, dann haben der Rat der 27 Mitgliedstaaten und das Plenum des Parlamentes dies noch formell zu bestätigen, bevor der Gesetzestext im Amtsblatt der EU in allen EU-Amtssprachen veröffentlicht wird und dann in Kraft tritt. Meist gibt es noch mehrjährige Übergangszeiten, damit sich die Mitgliedstaaten sowie insbesondere die Betroffenen auf die neue Rechtslage einstellen können.

Angelika Wessels
Leiterin der Europavertretung
der KAN in Brüssel
wessels@kan.de