KANBrief 2/25

50 Jahre DIN-Staatsvertrag

Am 5. Juni 1975 wurde der Staatsvertrag (pdf) zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Deutschen Institut für Normung abgeschlossen. Dieser bis heute wirksame Bund-DIN-Vertrag feiert somit in diesem Jahr sein 50-jähriges Bestehen. Grund genug, sich einmal mit den Inhalten und den Auswirkungen dessen zu beschäftigen, was retrospektiv als eher trockenes Rechtgeschäft daherkommt.

Eine lange Zeit, immerhin fast 30 Jahre seit Gründung der Bundesrepublik und sogar fast 60 Jahre, wenn man die Zeit vor Entstehung der BRD mitzählt, kam Deutschland ohne Festlegung aus, welche der verschiedenen Organisationen, die sich mit Normung befassten, seine nationale Normungsorganisation sein soll. Schließlich findet bereits seit 1917, zunächst unter dem Namen Normenausschuß der deutschen Industrie, Normungsarbeit in Deutschland statt. Was zunächst zur Rationalisierung der Industrie und auch zur Beschleunigung der Rüstungsproduktion diente, hatte spätestens ab den 60er Jahren mit der Einbettung in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und dem Einsetzen der Globalisierung eine neue Dimension bekommen: Normen dienten zunehmend dem Abbau von Handelshemmnissen und dem Wirtschaftswachstum durch Welthandel. Dadurch wurde auch die Normung global und ein wichtiger Faktor für die Industriepolitik der daran beteiligten Staaten. Darüber hinaus stellte man in Deutschland fest, dass Normen zur Beschreibung technischer Anforderungen für Recht und Verwaltung hilfreich sind und staatsentlastend wirken können.

Die 1926 in Deutscher Normenausschuß umbenannte Organisation erhält im Vorfeld des Vertragsabschlusses 1975 seinen heutigen Namen – Deutsches Institut für Normung, kurz DIN. DIN war zur damaligen Zeit insgesamt, und im Bereich der elektrotechnischen Normung im Verbund mit dem Verband der Elek­trotechnik Elektronik Informationstechnik (VDE) und dessen Normungsorganisation DKE, unumstritten die wichtigste Normungsorganisation in Deutschland und bereits Mitglied in den europäischen und internationalen Normungsorganisationen CEN/CENELEC bzw. ISO/IEC. Dieser faktische Zustand wurde durch den Vertrag umfassend von der Bundesregierung anerkannt und fortan nicht mehr in Frage gestellt. Der Staatsvertrag erkennt DIN als zuständige Normungsorganisation für die Bundesrepublik Deutschland an und legt fest, dass DIN als Mitglied in den nichtstaatlichen internationalen (und damit auch europäischen) Normungsorganisationen als offizielle Vertretung Deutschlands fungiert.

Auf der anderen Seite geht auch DIN durch den Vertrag Verpflichtungen ein. Hier ist zunächst die vollumfängliche Pflicht zur Berücksichtigung des öffentlichen Interesses in der Normung zu nennen. Dies ermöglicht den Zugang zur Normungsarbeit auch für Gruppen, die, im Gegensatz zu Wirtschaftsunternehmen, in erster Linie gesellschaftliche Interessen vertreten. Dazu gehören der Umweltschutz, der Verbraucherschutz und natürlich auch der Arbeitsschutz, die durch den Staatsvertrag ein neues Gewicht in der Normung erhielten. Bei DIN wird der Arbeitsschutz sogar als eigener interessierter Kreis geführt – ein Privileg, welches sonst keine andere Normungsorganisation dem Arbeitsschutz einräumt. Dem interessierten Kreis Arbeitsschutz werden in erster Linie Vertreter der KAN sowie der DGUV und ihrer Mitglieder zugeordnet.

Aus dieser Verpflichtung heraus ist für die Träger der öffentlichen Interessen in der Normung das Instrument des geschlossenen Votums entstanden. Es legt fest, dass in einem deutschen Normenausschuss bei ausbleibendem Konsens eine Entscheidung nicht gegen das geschlossene Votum eines interessierten Kreises getroffen werden kann. Nicht nur hierdurch wird deutlich, dass die Festlegungen des Staatsvertrags bis heute wirken und keinesfalls marginal sind.

Auch dem Staat gegenüber verpflichtet sich DIN durch den Vertrag direkt. So müssen die Lenkungsgremien und Normenausschüsse den Bund grundsätzlich einbinden. Behördliche Stellen sind je nach thematischer Zuständigkeit in die Normung einzubeziehen. Darüber hinaus sind Anträge des Bundes zu Normungsarbeiten bevorzugt zu bearbeiten. Im Gegenzug wird die Normung auch durch Bundesmittel gefördert.

DIN und die Bundesregierung haben mit dem Abschluss des Staatsvertrags einen eigenen Weg eingeschlagen. Die wirtschaftsgetragene Normungsorganisation blieb dadurch als Verein bestehen und hat auch ihre Autonomie gegenüber dem Staat behalten. Andere Länder haben die nationalen Normungsorganisationen zur gleichen Zeit hingegen verstaatlicht – oder durch ein Normengesetz gebunden. Dass die aus dem Bund-DIN-Vertrag entstandene Zusammenarbeit rückblickend als großer Erfolg bewertet werden kann, zeigt der letzte Paragraph des Vertrags: Seit Ende 1976 haben sowohl DIN als auch die Bundesregierung jedes Jahr auf das Recht verzichtet, den Vertrag aufzukündigen.

Freeric Meier
meier@kan.de