KANBrief 2/21
Viele Normen nehmen 75 kg als Gewicht von Personen an, um z.B. Prüfmethoden oder Anforderungen an Produkte zu formulieren. Eine Auswertung der KAN zeigt, dass Anpassungsbedarf in Normen und EU-Gesetzgebung besteht.
Haben Sie auch schon einmal in einem Aufzug auf das Schild mit dem zulässigen Gesamtgewicht geschaut und ausgerechnet, was eine Person demnach durchschnittlich wiegen darf? Häufig sind es 75 kg. Aber mal Hand aufs Herz: Was glauben Sie, wieviel Menschen im Durchschnitt wiegen? Wahrscheinlich werden Sie auf ein Ergebnis kommen, das über 75 kg liegt. Im Aufzug ist das Ganze kein Problem: Wird das zulässige Gesamtgewicht überschritten, schließen die Türen nicht und der Aufzug kann nicht losfahren.
Problematisch wird es aus Sicht des Arbeitsschutzes, wenn die Konstruktion von Produkten, die dafür gedacht sind, Menschen zu tragen oder zu halten, auf einem zu niedrig angesetzten Gewicht der künftigen Nutzer beruht. In manchen Fällen ist auch das maximal zulässige Gewicht schlicht nicht ersichtlich. Wenn sich die Normanforderungen oder die vorgesehenen Prüfungen auf 75 kg beziehen, kann die Nutzung für Personen über 75 kg eine Gefährdung darstellen. Ein Beispiel dafür sind Rettungsdienstfahrzeuge. Hier werden z.B. die Verankerungen für die Trage auf das Gewicht der Trage und einen darauf liegenden Dummy von 75 kg geprüft. Kommt es zu einem Unfall und der Patient wiegt deutlich mehr als 75 kg, kann ein zusätzliches Sicherheitsrisiko entstehen, wenn die Verankerung nicht halten sollte.
Es gibt viele Produkte, die Menschen (aus)halten oder tragen müssen. Das können Liegen, Tragen, Sitze, Stühle, aber auch Skateboards, Schwimmhilfen, Medizinprodukte, Feuerwehrleitern, Absturzschutzausrüstung und vieles mehr sein. Aktuelle Körpermaßdaten zeigen, dass ein Gewicht von 75 kg nicht mehr den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu Körpergewichten von Menschen entspricht. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) hat in einer Stellungnahme für die KAN ausgeführt, dass sich die Definition von Nutzergewichten in der Normung an den ergonomischen Grundlagennormen orientieren sollte. Demnach sollte für sicherheitsrelevante Anwendungen der Wert des 99. Perzentils zu Grunde gelegt werden (siehe unten). Außerdem ist es sinnvoll, Produkte so zu planen, dass sie von möglichst vielen Menschen verwendet werden können.
Die BAuA empfiehlt, in Bezug auf das Nutzergewicht daher Daten aus deutschlandweit repräsentativen Untersuchungen für die Normung und Gesetzgebung zu verwenden. Eine Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland hat 2012 zum Körpergewicht folgendes Ergebnis gebracht: Das 99. Perzentil bei Männern entspricht einem Körpergewicht von 129,1 kg, bei Frauen 119,1 kg. Bei der Studie wurden je Geschlecht ca. 3000 Personen untersucht, was nicht als repräsentativ für die gesamte deutsche oder gar europäische Bevölkerung anzusehen ist. Die ISO 7250-3 gibt für Europa als 99. Perzentil 142 kg für Männer und 119 kg für Frauen an. Es deutet also vieles darauf hin, dass statt der 75 kg ein weit höherer Wert anzusetzen ist.
Um das Thema genauer zu analysieren, hat die KAN Ende 2019 die DIN Software GmbH mit einer Recherche zum Thema Gewicht von Personen in Normen und der europäischen Regelsetzung beauftragt. Dabei wurde in den Volltexten nach Begriffen für Personen oder auch Prüfkörper, die für Personen stehen, im Zusammenhang mit einer Gewichtsangabe gesucht.
Die Auswertung hat gezeigt, dass in Normen und europäischen Vorschriften 75 kg für eine Person der am häufigsten genannte Wert ist. In rund 100 Dokumenten sind es 75 kg, in über 50 Dokumenten sogar unter 75 kg. Es gibt allerdings auch Dokumente, die weit höhere Werte ansetzen – insgesamt reicht die Spannbreite von 50 bis 360 kg für eine Person (siehe Abb. 1). Thematische Schwerpunkte sind die Bereiche Maschinenbau und Sport sowie europäische Richtlinien, Verordnungen und ECE-Regelungen (siehe Abb. 2).
Kann man nun einfach einen anderen Wert in die Normen schreiben und das Problem ist erledigt? Das ist nicht ohne weiteres möglich. So gibt es auch Anwendungsfälle, bei denen nicht der höchste anzunehmende Wert relevant ist. Dazu gehören z.B. Fälle, in denen es eine Auslöseschwelle auch für niedrige Gewichte geben muss, wie bei einer Sitzfederung oder einem Drucksensor, der beim Betreten eine Maschine abschaltet. Auch steht noch die Frage im Raum, welcher Wert der „richtige“ ist. Die Ergebnisse der Recherche werden nun zunächst innerhalb der KAN diskutiert. Ziel ist es, Empfehlungen für die Normung zu formulieren und auch die EU-Gesetzgebung (z.B. im Fahrzeugbereich) zu beeinflussen, da diese häufig als Grundlage für die Normen herangezogen wird. Ziel ist, praxisgerechte Werte für das Gewicht von Personen zu finden, die den aktuellen Körpermaßdaten entsprechen und die in die Dokumente eingebracht werden können.
Katharina von Rymon Lipinski
vonrymonlipinski@kan.de