KANBrief 1/22
Um die digitale Transformation zu unterstützen, haben das Deutsche Institut für Normung (DIN) und die Deutsche Kommission für Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (DKE) die nationale Initiative Digitale Standards (IDiS) initiiert.
Papier hat in der Normung weitgehend ausgedient. Auch seitenorientierte PDF-Dateien und aus einem Stück bestehende Dokumente in natürlicher Sprache müssen schrittweise durch automatisierbare Lösungen mit kleinen Informationseinheiten abgelöst werden. Um immer mehr Anforderungen in immer kürzerer Zeit zu realisieren, müssen vier wertschöpfende Prozessschritte der Normungsarbeit weiter automatisiert werden:
Die Initiative Digitale Standards (IDiS) lieferte mit dem Whitepaper „Szenarien der Digitalisierung der Normung und Normen“ erste Antworten, wie der Übergang schrittweise gelingen kann: mittels SMART Standards, d.h. Normen [Standard] mit Inhalten für Maschinen anwendbar, lesbar [readable] und bereitstellbar [transferable].
Die Aktivitäten orientieren sich am SMART Standards Utilitymodel, das Meilensteine und Reifegrade der Digitalisierung in mehreren Stufen definiert:
Level 0 | nicht maschinell prozessierbar (beispielsweise Papier) |
Level 1 | maschinell visualisierbares digitales Dokument (Word, PDF) |
Level 2 | maschinell lesbares Dokument, dessen Struktur oder bestimmte fragmentierte Inhalte maschinell ausgelesen werden können, da Inhalt und Gestaltung getrennt sind (XML) |
Level 3 | maschinell lesbare Inhalte, deren fragmentierte Informationseinheiten eindeutig identifiziert, deren Beziehungen untereinander erfasst und die automatisch weiterverarbeitbar und teilweise automatisch ausführbar sind |
Level 4 | maschinell interpretierbare Inhalte, deren Inhaltsbausteine so angereichert sind, dass diese maschinell direkt ausführbar und komplexe Prozesse automatisierbar sind |
Das Whitepaper enthält darüber hinaus einen Ausblick auf einen visionären Level 5, welcher den wachsenden Einfluss des maschinellen Lernens adressiert.
IDiS ist derzeit in drei Arbeitsgruppen gegliedert. Arbeitsgruppe 1 verfolgt ein gemeinsames Verständnis der Vision der SMART Standards. Arbeitsgruppe 2 spezifiziert erste Pilotprojekte, um den Nutzen von SMART Standards aufzuzeigen, Erfahrungen zu sammeln und weitere Anwendungsfelder zu erschließen. Arbeitsgruppe 3 spiegelt die (internationalen) Aktivitäten zum Thema und koordiniert externe sowie interne Aktivitäten. Arbeitsgruppe 3 ist die erste Anlaufstelle für international aktive nationale Experten.
Das Formelprojekt adressiert die Nachfrage nach Formeln aus Normen. Diese sollen auf Basis der XML-kodierten Inhalte in verschiedenen Standardformaten geliefert werden, um sie dann maschinell auszuwerten, zu visualisieren oder zu berechnen. Szenarien, die auch der Arbeitssicherheit dienen, da relevante Anforderungen vielfach als Formeln formuliert werden. Denkbar ist zum Beispiel die automatische Berechnung des notwendigen Mindestabstands einer berührungslos wirkenden Schutzeinrichtung auf Grundlage einer in der DIN EN ISO 138551 enthaltenen Formel oder die Berechnung der maximalen Kontakttemperatur nach DIN EN ISO 13732-12, um bei der Berührung verschiedener heißer Materialien und Oberflächenarten Verbrennungen der Haut vorzubeugen.
Konformitätsprüfung in der Produktentwicklung: Berechnungsformeln und Tabellenwerte werden aus einer Norm über eine Schnittstelle automatisiert an die verarbeitende Software übertragen (Content Usage auf Level 3). Damit wird in der ersten Entwicklungsphase z.B. der Effizienzgrad eines E-Motors über eine simulationsbasierte Konformitätsprüfung ermittelt. In der zweiten Entwicklungsphase wird eine automatisierte, messtechnische Konformitätsprüfung zum Vergleich ermöglicht.
Der Nutzen für Hersteller und Betreiber besteht darin, dass die Produktentwicklung kostengünstiger und schneller und die messtechnische Konformitätsprüfung effizienter wird, da aktuelle Werte unmittelbar aus der digitalen Norm in das Messgerät übernommen werden.
Es ist zu erwarten, dass sich die beschriebenen Stufen in den nächsten Jahren weiter konkretisieren und zum Teil verwirklichen. So erarbeiten ISO und IEC derzeit eine Struktur und einheitliche informatische Vorgaben für das Online Authoring von Inhalten, bei dem Inhaltssegmente von verschiedenen Zulieferern direkt in die digitale Norm integriert werden können. Weitere Projekte und mögliche Entwicklungen:
In IDiS wird gemeinsam ausprobiert, gestaltet, informiert und Erfahrungen werden ausgetauscht. Auch zahlreiche andere Normungsorganisationen arbeiten weltweit – teils voneinander losgelöst – am Thema „Digitale Normen“. Eine koordinierte Zusammenarbeit auf europäischer und internationaler Ebene ist daher dringend erforderlich. IDiS bietet die Chance, nationale Interessen in die europäische und internationale Normungsarbeit einzubringen, denn DIN und DKE arbeiten in entsprechenden internationalen Projekten bei CEN, CENELEC, IEC und ISO aktiv mit. DIN und DKE laden zur entgeltfreien Mitarbeit in IDiS ein – der nationalen Plattform für SMART Standards.
Raymond Puppan (DKE)
Andreas Wernicke (DIN)
1 EN ISO 13855, Sicherheit von Maschinen – Anordnung von Schutzeinrichtungen im Hinblick auf Annäherungsgeschwindigkeiten von Körperteilen
2 EN ISO 13732-1, Ergonomie der thermischen Umgebung – Bewertungsverfahren für menschliche Reaktionen bei Kontakt mit Oberflächen – Teil 1: Heiße Oberflächen