KANBrief 1/22

Gelenkwellen in der Land- und Forstwirtschaft

Gelenkwellen sind abnehmbare Bauteile zur Kraftübertragung zwischen einer Zugmaschine und einer anderen, z. B. angehängten Maschine. Die eigentliche Gelenkwelle ist sehr langlebig, die Schutzabdeckung kann bei nicht sachgemäßem Gebrauch jedoch verschleißen. Wenn diese Schutzeinrichtung nicht ersetzt wird, kann es zu Unfällen kommen – auch zu tödlichen. Ein KAN-Gutachten gibt Hinweise auf Verbesserungspotential der Normen für Gelenkwellen.

Gelenkwellen werden in der Landwirtschaft zur Übertragung einer Kraft oder Rotation von einer Motoreinheit auf verschiedene Maschinen eingesetzt, etwa von einem Traktor auf eine Maschine zur Bodenbearbeitung oder zur Aussaat von Feldfrüchten. Auch in der Forstwirtschaft, im kommunalen Bereich und vereinzelt in der Bauwirtschaft werden Gelenkwellen verwendet. Dieselbe Gelenkwelle kann dabei verschiedene Kombinationen von Zugmaschinen und anzutreibenden Maschinen (z. B. Heuwender oder Mähwerk) verbinden.

Rechtliche Vorgaben und Normen

Nach der EU-Maschinenrichtlinie müssen abnehmbare Gelenkwellen so konstruiert sein, dass alle beweglichen Teile während des Betriebes geschützt sind und von einer Bedienperson nicht erreicht werden können. Zugängliche drehende Teile bergen durch die hohe Drehzahl und das hohe Drehmoment die Gefahr, dass z. B. Kleidung sich daran aufwickelt und es so zu schweren Unfällen kommt. Nicht mitdrehende Schutzeinrichtungen, die die drehenden Teile abdecken, sollen diese Art von Unfällen verhindern und sind in der Europäischen Union Stand der Wissenschaft und Technik. Die Schutzeinrichtungen für Gelenkwellen werden in der Normung beschrieben.

Unfälle mit Gelenkwellen

Dennoch ereignet sich in Deutschland durchschnittlich alle zwei Jahre ein tödlicher Unfall mit Gelenkwellen. In Italien sind noch höhere Unfallzahlen bekannt, hier spielt vermutlich der Altbestand eine größere Rolle.

Viele dieser Unfälle passieren, weil die Schutzeinrichtung der Gelenkwelle beschädigt, manipuliert oder nicht mehr vorhanden ist. In der Land- und Forstwirtschaft bestehen harte Einsatzbedingungen: Durch Verschmutzungen, Witterungsbedingungen während des Einsatzes im Freien und das häufige An- und Abkuppeln werden die eingesetzten Gelenkwellen und ihre Schutzeinrichtungen besonders beansprucht. Und oft werden defekte Schutzeinrichtungen sowohl an den Gelenkwellen als auch antriebs- und maschinenseitig nicht ersetzt. Ein Hemmnis kann hier der Montageaufwand oder auch die Ersatzteilbeschaffung sein. Die Kraftübertragung, d. h. die gewünschte Wirkung, funktioniert auch ohne Schutzeinrichtung. Aus der Industrie bekannte Konzepte wie nicht trennende Schutzeinrichtungen oder Verriegelungslösungen sind kaum umsetzbar. Da die Gelenkwelle zwischen einem Zugfahrzeug und einer Maschine eingesetzt wird, wird auch die Schutzeinrichtung durch Bewegung und Erschütterungen ständig beansprucht. Nicht nur bei der Kraftübertragung, sondern z. B. auch bei der Fahrt auf dem Feld oder der Straße. Das erfordert eine gewisse Flexibilität der Schutzeinrichtung, sie darf nicht zu starr sein und kann auch nicht fest verbaut werden. Auch gibt es bisher keine marktreife Lösung einer elektronischen Überwachung der Schutzeinrichtung.

Immer wieder kommt es vor, dass die Kette, die das Mitdrehen der Schutzeinrichtung verhindern soll, nicht befestigt wird, defekte Schutzeinrichtungen nicht ersetzt werden oder Schutzeinrichtungen bei bauartbedingt mangelnder Tauglichkeit absichtlich abgebaut werden. Dies zählt aus Sicht des Arbeitsschutzes als vernünftigerweise vorhersehbare Fehlanwendung. Laut Maschinenrichtlinie sind Gelenkwellen jedoch so zu konstruieren, dass auch bei vernünftigerweise vorhersehbarer Fehlanwendung Personen nicht gefährdet werden. Dies muss schon bei der Konstruktion berücksichtigt werden.

KAN-Gutachten zum Stand von Wissenschaft und Technik

Die KAN hat den Stand von Wissenschaft und Technik von Gelenkwellen an landwirtschaftlichen Maschinen näher untersuchen lassen. Die Professuren für Arbeitswissenschaften und Agrarsystemtechnik der TU Dresden haben das Gutachten erstellt.

Eine Analyse vorhandener Gelenkwellen hat an einigen Stellen Verbesserungspotential für die Normung ergeben. So könnte aus Sicht der Gutachter die Gebrauchstauglichkeit von Gelenkwellen durch technische Maßnahmen verbessert werden. Die Sicherungselemente an der Gelenkwelle sollten leichtgängig gestaltet und das Abschmieren im eingebauten Zustand erleichtert werden. Über eine Optimierung des Materials für den Gelenkwellenschutz, um den Verschleiß so gering wie möglich zu halten, sollte ebenfalls diskutiert werden. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Erleichterung der Ersatzteilbeschaffung und die Information der Bedienpersonen über den sachgemäßen Gebrauch und die notwendige Wartung der Gelenkwelle. Auch bei den Maschinen, die gemeinsam mit Gelenkwellen verwendet werden, besteht teilweise Optimierungspotential. Eine Ablagemöglichkeit für die Gelenkwelle an der angetriebenen Maschine trägt dazu bei, den Verschleiß des Gelenkwellenschutzes zu verzögern.

Die Ergebnisse des Gutachtens haben Vertreter der Hersteller, der Normung und des Arbeitsschutzes Ende 2021 bei einem KAN-Fachgespräch diskutiert. Die Ergebnisse dieser Diskussion werden aktuell von der KAN-Geschäftsstelle aufbereitet und sollen dann in die Normung eingebracht werden. Die ISO-Normen für Gelenkwellen sollen planmäßig 2022 überarbeitet werden. Die europäische Norm für Gelenkwellen ist von 2020. Sobald hier die nächste Überarbeitung stattfindet, werden die Ergebnisse des KAN-Gutachtens in den Prozess eingebracht.

Katharina von Rymon Lipinski
vonrymonlipinski@kan.de