KANBrief 1/20
Die Bundesanstalt für Straßenwesen hat 1995 ein signifikant erhöhtes Unfallrisiko bei Rettungsdienstfahrzeugen festgestellt (Unterkofler, M.; Schmiedel, R. (1995): Verbesserung der Sicherheit bei Sondersignaleinsätzen: Info 34/95. Bergisch-Gladbach: Bundesanstalt für Straßenwesen). Jährlich wurden in den Altbundesländern 3500 Unfälle oder aber ein Verkehrsunfall je 2000 Einsätze verzeichnet. Bei Sondersignalfahrten entstand im Schnitt alle 19 Sekunden eine kritische Fahrsituation. Grund genug, die bauliche Sicherheit von Rettungsdienstfahrzeugen genauer zu betrachten und die Norm EN 1789 (Rettungsdienstfahrzeuge und deren Ausrüstung — Krankenkraftwagen) für den Patienteninnenraum zu verbessern.
Grundlage für den Bau, die Ausstattung, die Ausrüstung und die Prüfung von Krankenkraftwagen in Europa ist die EN 1789. Da Anhang XI der EU-Rahmenrichtlinie 2007/46/EG zur Genehmigung von Kraftfahrzeugen einen direkten Verweis auf die Norm enthält, gehört sie zum harmonisierten Bereich des europäischen Rechtssystems. Die Norm ist verbindlich für die straßenverkehrsrechtliche Prüfung und Zulassung des Patientenraumes.
Die EN 1789 ist mit den dort geregelten Medizinprodukten Teil des neuen Rechtsrahmens (NLF) der EU und unterliegt den entsprechenden Anforderungen an die Produktsicherheit. Für die sichere Gestaltung und Ausstattung des Patientenraumes sind auch aus anderen Rechtsquellen Anforderungen abzuleiten:
Anforderungen der EN 1789, die den Arbeitsplatz betreffen, müssen zudem auch die Vorgaben der EU-Arbeitsschutz-Rahmenrichtlinie (89/391/EWG) sowie Arbeitsschutzprinzipien und –erkenntnisse aus z.B. der Arbeitsstättenverordnung berücksichtigen.
Die Überarbeitung der EN 1789 wurde bereits vor einiger Zeit angestoßen und soll bis Mitte 2020 abgeschlossen sein. Die KAN hat 2019, gestützt auf die Ergebnisse mehrerer Expertenworkshops, an denen u.a. Vertreter von Betreibern, VDSI und Berufsgenossenschaften beteiligt waren, bei DIN eine umfangreiche Stellungnahme mit nahezu 100 Einzelpunkten eingereicht. In der nachfolgenden Diskussion auf europäischer Ebene konnten bereits einige wichtige Punkte umgesetzt werden:
Bei vielen Themen zeigte sich jedoch, dass die europäische Norm oftmals nur auf die Beschreibung eines Mindestniveaus ausgerichtet ist. Dies ist zum Teil in den unterschiedlichen Rettungssystemen der einzelnen Mitgliedstaaten begründet: Landesspezifische geografische Rahmenbedingungen oder Kostenansätze führen zu unterschiedlichen Vorgaben für die Fahrzeuge. Für Deutschland bedeutet dies, dass der von den Bundesländern und in den DIN-Regularien eingeforderte Stand der Technik nicht in allen Bereichen erreicht wird. Dies betrifft u.a. die
Das in der Norm angesetzte Gewicht von 75 kg für Fahrer/Personal/Patienten (inkl. Ausrüstung) entspricht nicht der Realität. Hier sind im europäischen Gesetzeswerk (u.a. Verordnung (EU) Nr. 1230/2012 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 661/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates: Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern bezüglich ihrer Massen und Abmessungen) und in der Norm Anpassungen erforderlich, für die sich die KAN einsetzt.
Die KAN-Geschäftsstelle hat die Leitung einer DIN-Arbeitsgruppe übernommen, die einen Vorschlag für umfassendere Anforderungen an die Gestaltung von Tritten und Zustiegen formulieren wird. Da die bisherige Verzögerungssicherheit von 10 g nicht mehr von allen Seiten als ausreichend angesehen wird, soll zudem versucht werden, an kritischen Stellen die strukturelle Sicherheit des Patientenraumes zu erhöhen. Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe werden erst in die nächste Überarbeitung der Norm eingehen.
Dringend erforderlich und von hohem praktischem Wert für die Betreiber wäre die Erstellung einer DGUV-Schrift mit Beschaffungsempfehlungen für die Ausstattung von Krankenkraftwagen nach dem Stand der Technik. Hier könnte weitaus spezifischer auf die Belange des deutschen Rettungswesens eingegangen werden.
Michael Robert