KANBrief 1/20
2019 war ein besonderes Jahr für die KAN: Seit nunmehr 25 Jahren setzt sie sich erfolgreich für die Berücksichtigung der Arbeitsschutzbelange in der Normung ein. Das feierten 160 Gäste aus 8 Ländern am 4. Dezember im Hause der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) in Berlin. Dabei blickten sie nicht nur zurück: Im Mittelpunkt der Vorträge und Diskussionen stand die Frage, wie Normung und Regelsetzung auf Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und die sich immer schneller entwickelnde Technik reagieren können.
Dr. Stefan Hussy (DGUV) begrüßte die Gäste mit dem Hinweis, dass die KAN im Laufe der letzten 25 Jahre zu einem wesentlichen Bestandteil des deutschen Präventionssystems geworden sei. Damit künftig eine an den Bedürfnissen der Praxis orientierte Verzahnung des Vorschriften- und Regelwerkes des Staates und der gesetzlichen Unfallversicherung mit der Normung funktioniere, müsse es insbesondere gelingen, im Normungsprozess frühzeitig den Gedanken der Vision Zero zu verankern.
1989 wurden die EU-Mitgliedsstaaten in der Maschinenrichtlinie dazu aufgefordert, auf nationaler Ebene die Sozialpartner stärker am Normungsprozess zu beteiligen. Antwort darauf war in Deutschland die Gründung der KAN. Heute ist sie, wie der stellvertretende KAN-Vorsitzende Heinz Fritsche (IG Metall) bei seinem Rückblick sagte, ein erfolgreiches sozialpartnerschaftliches Projekt, das mehr denn je von der direkten Anbindung der Sozialpartnerbüros in der KAN-Geschäftsstelle profitiert. Die KAN werde ernster genommen denn je und um Rat und Unterstützung gebeten.
Dr. Dirk Watermann (Geschäftsführer der KAN) erläuterte, dass sich in 25 Jahren die Themen der Normung vervielfältigt und Arbeitsmittel zu Hightech-Produkten entwickelt hätten. Auch würden inzwischen Anforderungen etwa an biologisch wirksame Beleuchtung, Dienstleistungen, Arbeitsschutzmanagementsysteme, Human resources management oder Risikomanagement genormt. Die Arbeit der KAN beschränke sich also schon lange nicht mehr auf die klassische Produktnormung, sondern stelle sich aktiv den neuen Aufgaben und Themenfeldern, die sich aus diesen Entwicklungen für Normung, Standardisierung und Regelsetzung ergeben.
Dr. Lars Adolph (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin) zeigte, welche großen Herausforderungen allein die „Künstliche Intelligenz“ (KI) für die Prävention birgt. KI habe große Potenziale zur Verbesserung von Sicherheit und Gesundheit, könne aber auch neue Bedrohungen mit sich bringen. Es müsse daher hinsichtlich bestimmter Risiken Restriktionen für die Anwendung von KI geben und dafür der heutige regulative Rahmen überprüft werden. KI verändere die Mensch-Technik-Interaktion und es stelle sich die Frage, wer im Zweifelsfall führt.
Bei der ersten von drei Diskussionsrunden waren sich Dr. Thomas Zielke (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie), Christoph Winterhalter (DIN Deutsches Institut für Normung) und Kevin Behnisch (DKE Deutsche Kommission Elektrotechnik, Elektronik, Informationstechnik) einig, dass Normen auch weiterhin eine Rolle spielen müssten, trotz der Entwicklungen beispielsweise in den Bereichen Digitalisierung und Künstliche Intelligenz. Nur die Normung sei in der Lage, den Stand der Technik zeitnah abzubilden und dabei alle interessierten Kreise einzubeziehen – nicht nur national, sondern vor allem auch international. Allerdings sei die klassische Normung weniger dafür geeignet, die Entwicklung von neuen Technologien zu begleiten. Ein Verfahren, welches parallel zu solchen Entwicklungen abläuft, biete DIN mit den DIN SPEC PAS. Sie seien vorrangig ein Angebot für Wissenschaftler und sollten einen Anreiz bieten, sich frühzeitig mit den Rahmenbedingungen für neue Technologien, zu denen auch Sicherheitsaspekte gehören, zu beschäftigen. Nur so könnten neue Technologien in der Realität funktionieren und Akzeptanz finden. Die in DIN SPEC PAS vorläufig erarbeiteten Inhalte könnten dann bei Bedarf in die Erarbeitung von klassischen Normen einfließen.
Stimmen aus dem Publikum hoben hervor, dass es auch bei den neuen Normungsdokumenten keine Abstriche bei der Beteiligung der interessierten Kreise oder der Transparenz der Verfahren geben dürfe. Ansonsten könnte nicht nur das Vertrauen in diese Dokumente und damit auch in die Normungsorganisationen verloren gehen, sondern Sicherheit und Gesundheit von Beschäftigten und Verbrauchern gefährdet werden.
In einer zweiten Diskussionsrunde hoben Stefan Pemp (Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung Niedersachsen) und Dr. Christoph Hecker (Berufsgenossenschaft Holz und Metall) die klassische, zentrale Funktion der Normung im EU-Rechtsrahmen hervor: die Primärprävention durch die Definition des „Stands der Technik“ für Arbeitsmittel und Verbraucherprodukte zu verankern. Der wesentliche Vorteil sei, dass durch harmonisierte Normen Maschinen und Produkte in Verkehr gebracht würden, die dem Arbeitsschutz nutzen. In der Normung von Arbeitsmitteln, Maschinensicherheit oder Messmethoden mitzuwirken, sei ein sehr effizienter Weg, um den Arbeitsschutz zu fördern.
In den Normungsgremien spielten allerdings auch Partialinteressen eine Rolle, insbesondere Hersteller seien dort meist sehr dominant vertreten. Das sei zwar nicht immer ein Nachteil, da sie mit dem Arbeitsschutz oft an einem Strang zögen. Trotzdem wäre es wünschenswert, wenn der Arbeitsschutz grundsätzlich in allen Ausschüssen von Anfang an gleichberechtigt mitberücksichtigt würde. Dies sei vor allem dann sehr wichtig, wenn Aspekte des betrieblichen Arbeitsschutzes berührt seien: Normung und Arbeitsschutz passten nämlich in vielen Fällen nicht zusammen, sondern verhielten sich eher wie Feuer und Wasser.
Der KAN-Vorsitzende Peer-Oliver Villwock (Bundesministerium für Arbeit und Soziales, BMAS) hob hervor, dass gute und mit deutscher Beteiligung erarbeitete Normen und Standards zukünftig im Kontext einer digitalisierten und vernetzten Welt noch wichtiger würden. Sie könnten nicht nur die Rechts- und Handlungssicherheit gewährleisten, sondern einheitliche Sicherheitsstandards zu einem Standortvorteil machen. Die wegen der neuen Technologien geänderten Rahmenbedingungen könnten allerdings dazu führen, dass Technische Regeln des Staates und der Unfallversicherungsträger sowie Normen und normenähnliche Dokumente verschiedenster Institutionen und Konsortien noch komplexer und schwerer anwendbar werden. Darauf müsse die Prävention reagieren und dafür sorgen, dass die Regulierung nicht nur an innovative Entwicklungen angepasst, sondern auch kohärenter und anwenderfreundlicher wird.
Konzepte und Instrumente der Prävention haben sich zwar über Jahrzehnte auf nationaler Ebene etabliert. Was wir heute aber viel stärker als noch vor 10, 15 oder gar 25 Jahren zu spüren bekommen, ist der Wunsch aus anderen Mitgliedstaaten der EU, Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit stärker aus europäischer Perspektive zu betrachten und zum Teil auch über die Normung zu regeln. Stefan Olsson (Generaldirektion Beschäftigung der EU-Kommission) rechnet zwar auch künftig nicht mit einer vollständigen Harmonisierung des betrieblichen Arbeitsschutzes auf europäischer Ebene. Aber für europäisch initiierte Hilfen zur Gefährdungsbeurteilung, strategische Rahmenbedingungen für den Arbeitsschutz oder Arbeitsplatzgrenzwerte für besonders wichtige krebserzeugende Stoffe gebe es einen breiten Konsens in den Gremien der Europäischen Kommission.
In einer dritten Diskussionsrunde tauschten sich Peer-Oliver Villwock (BMAS), Carsten Rogge-Strang (Arbeitgeberverband des privaten Bankgewerbes), Michael Schleich (Betriebsrat Dillinger Hüttenwerke AG), Dr. Stefan Hussy (DGUV) und Stefan Olsson (Generaldirektion Beschäftigung der Europäischen Kommission) über die nationalen Arbeitsschutzregeln aus. Dieses Regelwerk sei wegen der stetig steigenden Komplexität der Arbeitswelt sehr vielschichtig. Die Kunst bestehe darin, die vielen verschiedenen Regelungsebenen zukünftig noch besser aufeinander abzustimmen. Vor allem müssten die Arbeitsschutzregeln für die Anwender besser zugänglich gemacht werden. Ihnen müsse klar sein, welche Regeln und Normen in ihrer praktischen Situation relevant sind. Weite man den Blick auf die internationale Ebene, stelle man fest, dass das deutsche Arbeitsschutzsystem sehr gut aufgestellt ist und andere Länder wie beispielsweise China davon lernen wollen. Zudem interessiere man sich im Ausland sehr für die bei uns so wichtige Rolle der Sozialpartner.
Der stellvertretende KAN-Vorsitzende Kai Schweppe (Südwest-Metall) schloss die Jubiläumsveranstaltung mit einem Ausblick in die Zukunft. Die KAN und ihre Aktivitäten müssten noch bekannter werden. Unfallversicherung und BMAS stünden hinter den dazu notwendigen Veränderungen und ermöglichten durch eine langfristige Finanzierung, dass die KAN-Geschäftsstelle sich inhaltlich weiterentwickeln und personell aufstocken könne. All dies sei notwendig, um Beschäftigte, Unternehmen, Verbände, Staat, gesetzliche Unfallversicherung und die Öffentlichkeit auch zukünftig unterstützen zu können. Die KAN sorge dafür, dass Produkte, Prozesse und Dienstleistungen sicher und ergonomisch gestaltet würden, setze sich für Praxisnähe und Kongruenz des Regelwerks ein und bringe Arbeitsschutzpositionen durch aktive Mitarbeit in europäischen und internationalen Normungsgremien frühzeitig ein. Herr Schweppe forderte zur Mitarbeit in der Normung auf und appellierte an alle Kreise, auf die KAN zuzukommen, damit der Arbeitsschutz auch zukünftig weiter gestärkt wird.