KANBrief 3/18

Sicherer Bahnbetrieb und Arbeitsschutz – eine ­komplexe Aufgabe für die Normung

Für Schienenfahrzeuge gilt die EU-Maschinenrichtlinie nicht. Auch die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) (pdf, nicht barrierefrei) schließt diese Fahrzeuge explizit aus (Die ArbStättV ist die nationale Umsetzung der EU-Richtlinie 89/654/EWG. Sie nimmt „Transportmittel, die im öffentlichen Verkehr eingesetzt werden“ von ihrem Anwendungs­bereich aus). Schienenfahrzeuge sind jedoch Arbeitsmittel im Sinne der Betriebssicherheitsverordnung. Welche Rolle spielen Normen im Eisenbahnrecht und wie können Arbeitsplätze von Triebfahrzeugführern sicher gestaltet werden? Diese und andere Fragen standen im Fokus eines KAN-Fachgesprächs „Eisenbahnrecht, Normung und Arbeitsschutz“.

Behördenvertreter, Unfallversicherungsträger, Hersteller, Betreiber, Gewerkschaften, Vertreter der Normung und des Länderausschusses für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI) diskutierten am 18. Juni 2018 in Sankt Augustin die rechtlichen Zusammenhänge mit Blick auf den Arbeitsschutz und die technische Sicherheit von Eisenbahnfahrzeugen. Sie berieten, an welchen Stellen Handlungsbedarf gesehen wird und was sich aus Arbeitsschutzvorschriften und -regeln herleiten lässt, z.B. für die Gefährdungsbeurteilung (siehe auch: Anforderungen des Arbeitsschutzes an Lokomotiven, Januar 2017 DGUV Information 214-085 (pdf)). Wo kann der Arbeitsschutz rechtliche Argumente finden, um Arbeitsschutzstandards einzubringen?

Ein Experte des Eisenbahnbundesamtes erläuterte, dass die europäische Richtlinie 2016/797/EU (pdf) über die Interoperabilität des Eisenbahnsystems in der Europäischen Union in der Hierarchie des Regelwerkes die höchste Verbindlichkeit hat. Sie wird konkretisiert durch technische Spezifikationen für die Interoperabilität (TSI) (TSI Übersichtstabelle). Diese enthalten teilweise arbeitsschutzrelevante Anforderungen, werden aber in der Regel ohne Beteiligung von Arbeitsschutzexperten erarbeitet. Die TSI nehmen teilweise auch Normen in Bezug, die dadurch verbindlich werden. Sehr detailliert, aber weniger verbindlich, sind die Merkblätter des internationalen Eisenbahnverbandes (UIC), die das Regelwerk ergänzen.

In der Diskussion wurde deutlich, dass das Regelwerk aktuell einem Wandel unterliegt. Nach und nach werden detaillierte Anforderungen aus den TSI in Normen überführt. Auf diese Normen muss der Arbeitsschutz ein besonderes Augenmerk legen, um auch hier ein Sicherheitsniveau zu erreichen, das mit demjenigen anderer Arbeitsplätze vergleichbar ist.

Arbeitsschutzaspekte in Eisenbahn-Normen

KAN-Stellungnahmen zu Normen haben sich bisher häufig an den Grundlagen des Arbeitsschutzes aus dem Gebiet der Maschinen­sicherheit orientiert. Diese Argumentation steht rechtlich auf wackligen Beinen, denn die EU-Maschinenrichtlinie ist nicht anwendbar. Die EU-Kommission geht davon aus, dass die „fehlende“ Maschinenrichtlinie gleichwertig durch das europäische Eisenbahnrecht ersetzt wird.

Aus Sicht des Arbeitsschutzes gibt es aber deutliche Unterschiede. So ist es nicht hinnehmbar, dass z. B. Zugänge und Notausstiege bei Eisenbahnfahrzeugen deutlich kleiner und weniger ergonomisch sein dürfen als bei Maschinen (E DIN EN 16186-4 „Bahnanwendungen – Führerraum – Teil 4: Gestaltung und Zugang“, 2017-08). In diesem Fall stehen die kritisierten Maße bereits in der TSI (Verordnung (EU) Nr. 1302/2014 über eine technische Spezifikation für die Interoperabilität des Teilsystems „Fahrzeuge – Lokomotiven und Personenwagen“ des Eisenbahn­systems in der Europäischen Union). Große und schwergewichtige Triebfahrzeugführer stehen vor Problemen – und das, obwohl der Sitz im Führerraum bis 130 kg ausgelegt ist. Der Hinweis auf Beschränkungen durch konstruktive Erfordernisse ist nur in gewissem Maß hinnehmbar, denn es gibt Triebwagen, bei denen größere Abmessungen realisiert wurden.

Positiv ist, dass es auf europäischer Ebene unter dem Technischen Komitee CEN/TC 256 (Eisenbahnwesen) die Arbeitsgruppe WG 51 „Labour Health & Safety“ gibt. Diese prüft alle europäischen Normentwürfe im Bereich Eisenbahnen unter Arbeitsschutzaspekten. Wenn allerdings, wie im oben genannten Fall, die TSI bereits kleinere Maße vorgibt, so sind Verbesserungen des Arbeitsschutzes über Normen nur schwer durchsetzbar.

Verbesserungspotenzial vorhanden

Deutlich wurde, dass die Rechtsvorschriften im Bereich Eisenbahnen sehr komplex sind. Arbeitsschutzaspekte sind häufig nur unzureichend in Technischen Spezifikationen enthalten. Arbeitsschutzfachleute sollten daher bei der Erarbeitung von TSI stärker einbezogen werden. Für die Gefährdungsbeurteilung wäre es hilfreich, Regelungslücken im Eisenbahnrecht durch Einbeziehung des Arbeitsstättenrechts zu füllen.

Die zunehmende Tendenz, Anforderungen zur Sicherheit von Eisenbahnen in Normen einzubringen, bietet bessere Beteiligungsmöglichkeiten für den Arbeitsschutz. Da in der Diskussion viele Fragen offen blieben (z. B. Bestandsschutz von alten Triebfahrzeugen oder wie sich Arbeitsschutzfachleute bei der Erarbeitung von TSI besser einbringen können), ist ein weiteres KAN-Fachgespräch für 2019 geplant.

Dr. Anja Vomberg
vomberg@kan.de